Vortrag aus der Veranstaltungsreihe des Asta der Uni Oldenburg zu Antisemitsimus: gehalten am 10.2.00 von Katharina Seewald. Schonmal als Vorankündigung: demnächst wird´s vom Asta noch einen Reader geben, in dem die restlichen Vorträge auch drin sind. Die Bilder in diesem Text sind entnommen aus der überaus lesenswerten Zeitschrift „calcül - Zeitschrift für Wissen und Besserwissen“ der Göttinger Basisgruppe Geschichte zu Antisemitismus in der Linken, Heft Nr. 6, September 1999, zu bestellen bei der BG Geschichte, Rosa-Luxemburg-Haus, Goßlerstraße 16a, 37073 Göttingen, 3Mack, oder sonst mal in Ol im Asta nachfragen, die wollten da ´n paar Exemplare von bestellen. Antisemitismus - Antizionismus in der Linken? Antisemitismus ist heute salonfähig geworden - jahrzehntelang tabuisiert und von Regierungsseite nicht gefördert (vgl. deutsche Israel-Politik) - wird heute mit antisemitischen Vorurteilen auch Politik gemacht und die Vorbehalte sind aufgebrochen. Aber das ist heute Abend nicht das Thema, sondern: Antisemitismus - Antizionismus in der Linken Seit ich mich näher mit dies Thema beschäftige und mit unterschiedlichsten Menschen aus der Linke diskutiere, sehe ich mich immer mehr dem Vorwurf ausgesetzt, daß alleine die These, daß auch innerhalb der Linken antisemitische Vorurteile bestehen als böswillige Verleumdung definiert wird und diese Menschen regelrecht empört über die vermeintliche Unterstellung sind.] Für mich stellt sich daher schon die Frage ob es jetzt überhaupt an der Zeit ist sich mit der eigenen Haltung zum Antisemitismus auseinander zu setzen. In einer Zeit, in der rechte Positionen inzwischen gesellschaftliche ,,Mitte" geworden sind und die Linke zunehmend marginalisiert ist. 1986 wurde der sog. Historikerstreit noch scheinbar von der Linken gewonnen. Dagegen ist Heute mit der Debatte um das Schwarzbuch Kommunismus die damalige Totalitarismus-These `Kommunismus = Faschismus' bzw. der `Archipel Gulag sei ursprünglicher als Auschwitz' in großen Teilen der Gesellschaft verankert Und das nicht nur in der ,,Mitte", sondern auch von Leuten die sich früher durchaus als Linke definierten Heißt das aber, daß die Linke - oder wesentliche Teile davon - antisemitisch ist? Diese Frage ist umso schwerer zu beantworten, weil die Linke" keine homogene Gruppe ist, die sich klar definieren läßt, sondern als Konstrukt bemüht wird, um unterschiedliche sog. fortschrittliche Haltungen zu begründen. Bevor ich die meiner Meinung nach drei wesentlichen Strömungen innerhalb der Linken auf ihre Haltung zum Antisemitismus näher beleuchte, möchte ich zuerst eine Definition des modernen Antisemitismus" voranstellen, die wesentlich ist für das Verständnis des zu Diskutierenden. Definition Antisemitismus
Antisemitismus ist nicht nur ein tradiertes Vorurteil und auch nicht bloße Zweckpropaganda der Herrschenden zur Ablenkung der Wut der Beherrschten. Der moderne Antisemitismus ist im Gegensatz zum feudalistischen Antisemitismus eine Denkform, die sich im 19. Jahrhundert in unmittelbarem Zusammenhang mit der Durchsetzung der bürgerlichen Gesellschaft herausbildet, eine ideologische Reaktion auf die von vielen als Bedrohung [...] erfahrende Universa-lisierung der kapitalistischen Warenvergesellschaftung und dem dadurch eingeleiteten Umbruch der gesellschaftlichen Beziehungen, Herrschaftsverhältnisse und Herrschaftsformen".1 Antisemitismus ist auch nicht nur eine Unterform des Rassismus. Der Rassismus projiziert auf die sog. andere Rasse, heute vielfältig auf die andere primitivere" Kultur, die triebhaftig und naturwüchsig sein soll, während die eigene Rasse" einen höheren Grad erreicht hat. Der Jude" dagegen symbolisiert die andere Seite. Er steht für Kapital, abstrakte Herrschaft und künstliche Zivilisation, hohe aber hinterhältige Intelligenz und große Macht. Mit dieser Zuschreibung stellt der Antisemitismus eine einfache Erklärung der kapitalistischen Gegenwart dar und die Lösung ist auch vorprogrammiert. Oder wie es Moishe Postone formuliert: ,,Nicht nur Ausmaß, sondern auch Qualität der den Juden zugeschriebenen Macht unterscheidet den Antisemitismus von anderen Formen des Rassismus. Alle Formen des Rassismus schreiben dem Anderen eine potentielle Macht zu. Die Macht ist gewöhnlich aber konkret - materiell und sexuell - die Macht des Unterdrückten als Macht des Verdrängten, die Macht des ,Untermenschen'. Die den Juden antisemitisch zugeschriebene Macht wird nicht nur als größer, sondern auch im Unterschied zur rassischen Vorstellung über die potentielle Macht der `Untermenschen' als wirklich angesehen [...]. Die Juden stehen für eine ungeheuer machtvolle, unfassbare internationale Verschwörung."2 Arbeiterlnnenbewegung und Antisemitismus
Ich werde hier aus Zeitgründen nicht auf die Entwicklung der alten SPD und der KPD eingehen, das können wir vielleicht in der Diskussion nachholen. Ich beziehe mich auf die Entwicklung nach 1945 und habe auch da die SPD nicht berücksichtigt, weil ich davon ausgehe, dass sie sich heute als bürgerliche Partei begreift und sich nicht den Linken zuordnet - geschweige denn, daß ich das tue. Die Linke wird hierzulande als das erste und eigentliche Opfer des Nationalsozialismus verstanden und damit steht der Widerstand gegen den deutschen Faschismus eindeutig im Vordergrund. Der Faschismus wird in der Dimitroffschen Definition gesehen als die am meisten chauvinistische, reaktionärste Herrschaftsform des Kapitals und der Antisemitismus wird auf seine Wirkung als Manipu-lationsinstrument reduziert. Deshalb wird auch die deutsche Arbeiterbewegung per se vom Vorwurf des Antisemitismus freigesprochen. Der Antisemitismus wird auf ökonomische Widersprüche reduziert und die antisemitischen Tendenzen innerhalb der eigenen Anhängerschaft geflissentlich übersehen. In den 50er Jahren war die sozialdemokratisch, gewerkschaftlich und linksliberale Linke proisraelisch eingestellt - diese Haltung, die teilweise ein sehr kritiklose Bewunderung für den Aufbau Israels beinhaltete, deutet daraufhin, daß sie nicht nur aus dem Bewußtsein politischer Verantwortung herrührte, sondern auch aus latenten Schuldgefühlen. Gleichzeitig diente diese Haltung dazu sich als besseres Deutschland" präsentieren zu können.3 Heute wird in den sich traditionell als Arbeiterbewegung" definierenden Parteien und Organisationen weiterhin der Freispruch der kleinen Leute" gepflegt, z.B. schreibt Emil Carlebach (selbst aus einer jüdischen Familie kommend) in der DKP-Parteizeitung UZ Nicht Antisemitismus sondern Profitgier und Kadavergehorsam" wären die Ursachen für die Ausschreitungen in Gollwitz gewesen.4 Auch in der Kritik an den Thesen Goldhagens wird deutlich, daß die traditionellen" Linken sehr wohl eine Unterscheidung machen zwischen dem guten deutschen Volk" und den bösen Eliten". Auch hier wird der Antisemitismus auf seine ökonomischen Anteile reduziert und rein unter dem wirtschaftlichen Aspekt erklärt5 Das Denken in den Kategorien von Haupt- und Nebenwiderspruch ist auch bei den Gewerkschaften vorherrschend, das gleiche gilt für die ArbeiterInnen-Bewegung insgesamt. Parteien und Antisemitismus
Bevor hier auf die sich als die linke Alternative in der BRD selbst definierende PDS eingegangen wird, noch einige Takte zu den Grünen, die als Basisbewegung in den frühen 80er Jahren für viele Linke eine Alternative darstellten. Schon 1983 leistete sich der Grüne Kalender" eine beispiellose Entgleisung in bezug auf Israel. Hier wird zur Beseitigung des künstlichen zionistischen Gebildes" aufgerufen und festgestellt, daß angesichts der zionistischen Greueltaten ... die Nazigreuel verblassen". Dies gipfelte in der Forderung Kauft nicht bei Juden!" und im Aufruf zu tätlichen Angriffen: Wann wird den Juden endlich ein Denkzettel verpaßt?"6 1986 verbreitete die Alternative Liste zu den Westberliner Senatswahlen ein Plakat, das den typischen jüdischen" Mietspekulanten zeigte. Dagegen erscheint die Aussage von Christian Ströbele während des Golfkrieges II (1991), daß die irakischen Scud-Angriffe eine logische Folge der Politik Israels" seien, fast harmlos. Antje Vollmer schließlich begründete dann die Annäherung an die eigene Nation und den Stimmungsumschwung der Grünen zur Wiedervereinigung mit der erfolgreichen Zivilisierung des Teutonischen durch die APO". Das hat nicht Herr Kohl geschafft, das haben wir geschafft".7 Diese Aussage ist zwar nicht antisemitisch oder antizionistisch, aber zeigt ein Verhältnis zur Nation auf, das eine der Grundlagen für den Antisemitismus bildet. Im Zuge der sog. Wiedervereinigung wird die Besinnung auf die eigene Nation oder die nationale Identität, ehemals ein Kampfbegriff der Konservativen, für viele sich durchaus selbst als Linke einstufendenden zur Selbstverständlichkeit. Ich stehe vielen Positionen von Günter Grass kritisch gegenüber, er ist aber einer der wenigen profilierten Namen in diesem Land, die den Zusammenhang in diesem nationalen Taumel aufzeigten: Deutschland denken heißt Auschwitz denken"8 Die PDS schließlich zeigt in ihren Aussagen und im konkreten Handeln nationalistische Tendenzen, die letztenendes auch auf antisemitischen Ressentiments beruhen. Herausragendes Beispiel dabei ist der Fall Gollwitz" - ein Dorf in Brandenburg - das sich mit antisemitischer Hetze gegen den Zuzug von jüdischen AussiedlerInnen wandte. Die PDS argumentierte, daß die soziale Lage der ostdeutschen Krisenopfer" so schlimm wäre, daß man sich über die Ausschreitungen nicht wundern dürfte.9 Das ist das klassische Erklärungsmuster: Antisemitismus als Antwort der verführten Ausgebeuteten, die ihre wahre Klassenlage nicht erkennen und sich den falschen" Feind suchen. Kein Wort über den alltäglichen Antisemitismus und Rassismus, der sich eben nicht nur mit ökonomischen Gründen oder Ängsten erklären läßt. Der Antisemitismus in den östlichen Bundesländern ist nicht nur, aber auch bedingt durch die Entwicklung in der DDR: Angefangen von dem gespannten Verhältnis zu Israel, dem unkritischen Herangehen an die palästinensische Befreiungsbewegung über Nichtthema-tisierung des Holocausts und die Reduktion des Faschismusbegriffes auf rein ökonomische Ursachen bis hin zu einem DDR-spezifischen Nationalismus, der mit autoritären und vormundschaftlichen Strukturen einhergeht. In der PDS gipfelt das Ganze dann in einer Annäherung an nationalbolsche-wistische Kräfte, die im Neuen Deutschland sogar für ihre Positionen ein Forum finden.
Die Neue Linke nach 1968
Die Neue Linke nahm im Gegensatz zur Traditionellen in Bezug auf Israel ein völlig andere Haltung ein. Ausgangspunkt war der Juni-Krieg von 1967, in dem Israel von der deutschen Regierung und der Springer-Presse enthusiastisch gefeiert wurde. In kürzester Zeit wurde innerhalb der Linken die bisherige proarabische Neutralität in eine absolute Verurteilung Israels als imperialistisch-faschistisches Staatsgebilde umgewandelt. Die palästinensische Befreiungsbewegung wurde zum sozialrevolutionären Subjekt. So zersplittert und verfeindet die einzelnen Gruppen der 68er Bewegung auch waren, sie hatten eines gemeinsam - das antiimperialistische Weltbild, das im übrigen bis heute zum Grundkonsens der Linken gehört und einen nicht unwesentlichen Teil der Basis für den Antizionismus bildet. Der linke Common Sense begreift die Gesellschaft als von einem mo-nolithischen Machtblock aus Kapital und Staat gesteuert. Weder wird die bürgerlich-kapitalistische Ökonomie als ein System sozialer Beziehungen begriffen oder das relativ getrennte Dasein eines politischen Gebildes namens `Staat' als ein notwendiger Ausdruck dieser sozialen Verfaßtheit gesehen, noch wird unter Ideologie mehr verstanden als Manipulation und geschickte Lüge."10 Die Befreiungsbewegungen wurden zur Verkörperung der weitrevolutionären Kräfte hochstilisiert. Je aussichtsloser der Kampf im eigenen. Zusammenhang, je massiver die Repressionen wurden, desto heftiger artikulierten sich die antiimperialistischen Hoffnungen auf den Sieg dieser Bewegungen. Je unabweisbarer die objektiven Schwierigkeiten der linken Theorie und Praxis in der BRD hätten reflektiert werden müssen, desto stärker wurde das subjektive Bedürfnis, sich stattdessen eine linke revolutionäre Identität ... durch den Bezug auf die geborgte Realität ... der Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt zu verschaffen."11 Die Zusammenhänge waren ja auch naheliegend: hier gab es eine Bewegung, die sich gegen fremde Herrschaft und/oder imperialistische Ausbeutung zur Wehr setzte. Die absolut richtige Parteinahme ging aber einher mit einer unkritischen Identifikation. Es wurde schlichtweg übersehen oder auch bewußt ausgeblendet, daß es sich bei diesen Bewegungen vor allem um nationale Befreiungsbewegungen handelte, die zum Teil eben die soziale Frage ausblendeten, bzw. die Probleme hinten anstellten.. Wenn sich dann eine Bewegung die Macht tatsächlich erkämpft hatte, war das Ergebnis vorprogrammiert im besten Fall wurden sie zu einem ,,normalen" Nationalstaat. In der zuspitzenden Vereinfachung wird die antiimperialistische Weltanschauung zu einer vereinfachten Sicht zu einem binären Denken, das eindeutig in Gut und Böse teilen kann und den Kampf um die nationale Unabhängigkeit als Revolution mißversteht. Doch was hat das alles mit Antisemitismus zu tun? Die Linke versteht sich, in ihren großen Teilen zumindest, als antizionistisch. Der Antizionismus ist die Anwendung des antiimperialistischen Schemas auf den Konflikt zwischen Israel und der palästinensischen nationalen Befreiungsbewegung."12 Der Zionismus und damit einhergehend der Staat Israel wird zum Hort des Bösen erklärt. Das reicht von der Entlarvung als Ideologie reaktionärer jüdischer Kapitalisten" (Rote Pressekonferenz 1973) bis hin zu dem personifizierten Zionismus, der Israel als Heimstätte aller Juden tarnt" Nahostgruppe Freiburg 1988). Mit der durch keine Vernunft und Menschlichkeit gebunden Ungeheuerlichkeit zionistischer Aggressionen (Elias 1983) ist er nicht nur der unversöhnliche und unreformie-rbare Feind der Palästinenser. Er ist auch unser Feind. Er ist der Feind aller Menschen" (Autonome Nahostgruppe Hamburg 1989). Dem abstrakten Bösen in Gestalt des Zionismus tritt geschlossen das konkrete Gute entgegen: ein Volk", so spitzt Haury in seinen Ausführungen bezüglich der Position der Linken zu. Israel darf kein normales" Volk sein und die Juden sind es ja auch nicht - zumindest für den radikalen Teil der Linken in der BRD. Das angebliche Volk" (Rote Presse Korrespondenz 1983), das niemals existiert hatte" (Palästina-Nachrichten Nr.7) darf keinen Rechtsanspruch auf einen Staat geltend machen, weil es weder einen Heimatboden vorzuweisen hat noch eine angeborene Identität ... als genuine, unauslöschliche Eigenschaft (Al Karamah Nr. 2/1986).13 Da Zionismus und Frieden unvereinbar sind, fordert folglich die Interim 1992 ,,Israel muß weg". Die Verschwörungstheorien der Linken sind nicht mehr von den Rechten zu unterscheiden. Da wird von den zionistischen Multimillionären, die in allen Teilen der Welt leben und sich immer wieder in privaten Konferenzen treffen, um Israels Aggression zu unterstützten", so das Antiimperialistische Informationsbulletin 1971, geschwafelt bis hin zur ,,zionistischen Weltbewegung" (Al Karamah Nr.3/1986). Ebenso wird hier die ,,Beherrschung der Weltöffentlichkeit durch die zionistische Propaganda" beschworen und Israel ist natürlich ,,ein mit geraubtem Land und geschnorrtem Geld errichtetes künstliches Gebilde" (Arbeiterkampf 1975). Der Staat Israel mag mit seiner Politik durchaus scharfe Reaktionen der Linken hervorzurufen - aber diese Politik ist keine Rechtfertigung für die teilweise eindeutig antisemitischen Ergüsse. Im Dezember 1991 setzte sich dann ein Teil der RZ mit der eigenen Vergangenheit auseinander- dort wurde erstmals auch die von ihnen unterstützte Flugzeugentführung von Entebbe 1976 kritisiert. Dort wurde von einem Kommando der palästinensischen PFLP und zwei Angehörigen der RZ mit dem Ziel der Freipressung von Gefangenen eine Selektion der Flugzeuginsassen in jüdische und nichtjüdische vorgenommen.14 Die Anti-AKW-Bewegung möchte ich als ein Beispiel herausgreifen, weil sie über lange Jahre hinweg eine der stabilsten Neuen Sozialen Bewegung war oder ist und sich nicht in allen Teilen als antiimperialistisch versteht. Natürlich sind Teile der Anti-AKW-Bewegung schon von ihren Anfängen her nicht ausdrücklich als Linke zu begreifen - es gab einen durchaus namhaften Teil, die nach dem Sankt-Florians-Prinzip ihre Heimat rein halten wollten. Ausfluß davon waren ja auch in den Anfängen Teile der Grünen, die aus dem Konservativen bzw. sogar neofaschistischen Spektrum kamen. Trotzdem haben sich die größten Teile dieser Bewegung als durchaus links verstanden und heute sind die übrig gebliebenen Teile überhaupt nicht dem rechten Spektrum zuzuordnen. Nichts desto trotz. konnte es in jüngster Zeit geschehen, daß nach dem Castor-Transport nach Ahaus ein Gedicht von Paul Celan das sich auf Auschwitz und die millionenfache Ermordung jüdischer Menschen bezieht, umgeschrieben" wurde auf die Ereignisse in Ahaus und in der Anti-Atom-Aktuell veröffentlicht wurde. Die Redaktion hat sich daraufhin entschlossen, wesentliche Teile eines Heftes dem Thema Ahaus ist nicht Auschwitz" zu widmen.
Auch heute ist die Auseinandersetzung innerhalb der Linken mit dem Thema Antizionismus sehr widersprüchlich - es gibt inzwischen zwar etliche Publikationen dazu, aber die Reaktionen auf jüngste Ereignisse, wie das nur sehr zögerliche Herangehen an die Thesen Goldhagens, das weitgehende Nichtbefassen mit der Rede Walsers oder auch die Nichtentrüstung auf den neuerlichen Vorstoß Faßbinders antisemitische Versatzstücke ,,Die Stadt, der Müll und der Tod" zu thematisieren, zeigen welche Defizite in diesem Bereich vorhanden sind. Oder anders ausgedrückt: solange sich auch die Linke in den Kategorien Nation und Volk bewegt, solange wird sie sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, daß sie mitschuldig ist am Antisemitismus nicht als ihr Träger aber als ihr Zuträger.
Ich möchte mit einem Zitat schließen: Links ist da, wo keine Heimat ist. Nicht um nationale Selbstbestimmung geht es, sondern um gesellschaftliche; nicht um den Schutz von Völkern, sondern um den Schutz der einzelnen und Minderheiten vor den Völkern, nicht um die Konstruktion neuer Staaten, sondern um die Destruktion der bestehenden; nicht um die Zwangshomogenisierung der Individuen zu Nationen, sondern um ihre freie Assoziation zur staaten- und klassenlosen Weltgesellschaft."15
1 Haury Thomas, in: Poliakov L., Vom Antisemitismus zum Antizionismus", Freiburg 1992, 5. 127 2 Elsässer, Jürgen, Antisemitismus, Berlin 1992, S. 55 3 Haury, Th., a.a.O., 5.134 4 Küntzel, Matthias u.a., Goldlhagen und die deutsche Linke, Berlin 1997, 5. 52 5 Goldhagen S. 52 zitiert nach Mewes K., Goldhagen und die marxistische Bescheidenheit, in: Marxistische Blätter, 1/97, S. 82 6 Grüner Kalender 1983, zit. nach Broder, Henryk M., Antizionismus, Antisemitismus von links?, Berlin 1984, S.54 7 Elsässer, Jürgen, Antisemitismus - das alte Gesicht des neuen Deutschland, Berlin 1992, S. 107 8 ebenda, S. 80 9 Bozic Ivo, Die drei von der Plattform, in: Jungle world 9/98 10 Haury Th., a.a.O. 5. 139 11 Haury Th., a.a.O. S.140 12 ebenda, S. 141 13 alle Zitate, ebenda, S. 143 14 Die Früchte des Zorns, Berlin 1993, 5. 22f 15 Elsässer, J., a.a.O. S. 125 |