Veranstaltungsreihe des AStA der Carl v. Ossietzky Universit”t zum deutschen Antisemitismus

Dienstag, 15.2.00 19:30 h
Verborgener Staat - lebendiges Geld. Zur Dramaturgie des Antisemitismus Buchvorstellung mit dem Autoren: Gerhard Scheit (Wien)

Donnerstag, 10.2.00 19:30 h
Antisemitismus und die Linke Vortrag von Katharina Seewald (DGB Bildungsreferentin, Kassel)

Dienstag, 8.2.00 20:00 h Antisemitismen und Rassismen im Kontext des globalen Differenzkapitalismus Kurzfilme und Vortrag von Hito Steyerl (Filmemacherin, karoshi-Autorin)

Donnerstag, 3.2.00 19:30 h
Der Barmherzige Samariter oder warum die Christen achtlos an den Juden vorbeigingen als sie unter die Nazis fielen. Eine Exegese Vortrag von Dr. Klaus Dede (Schriftsteller, Oldenburg)

Montag, 31.1.00 20:00 h
J¸discher Widerstand gegen den Holocaust Vortrag von Dr. Joachim Tautz (Dozent f¸r Politik, Oldenburg)

Montag, 24.1.00 16:30 h
Die Juden sind unser Ungl¸ck (H. v. Treitschke) - Juden in Deutschland und die Herausbildung des deutschen Nationalbewuþtseins Vortrag von Klaus Mellenthin (Kursleiter an der Gedenk- und Bildungsst”tte Israelitische T–chterschule Hamburg)


Einleitende Gedanken zur Reihe:
Es handelt sich nur um einige Fragmente des Themas, allein der Antisemitismus in der Linken w”re eine Veranstaltungsreihe wert. Der Handlungsbedarf ist f¸r aufmerksame ZeitgenossInnen auf der Hand liegend: Antisemitismus boomt ungeheuerlich. Die Statistiken, die nur Bruchteile antisemitischer Gewalt und Bedrohung abbilden k–nnen, zeigen mehr Straftaten an, als in der Zeit vor í33. Seit Berlin Hauptstadt des neuen Groþdeutschland ist, ist es Hauptstadt des Antisemitismus. Die MeinungsforscherInnen bem¸hen sich, die Zahl der ÑEinstellungenì antisemitischer Art aufweisenden Deutschen bei unter 50% zu halten. Aber Antisemitismus ist keineswegs nur eine ÑMeinungì, sondern - und das bei vollem Bewuþtsein - ein Verbrechen. Ignatz Bubis, der feststellte und fast t”glich erfuhr, dass Antisemitismus in allen Gesellschaftsschichten vorhanden ist, hat am Ende seines Lebens resigniert aufgegeben. Am 27.1. ist offizieller Auschwitzgedenktag (von R. Herzog eingef¸hrt). Das wird von den Wir-Haben-Gelernt-Deutschen wie von den Wir-Ahmen-Nach-Deutschen zum Anlass genommen werden peinliche Reden und erneuten Terror zu starten. Auf die Probleme beim staatlichen Gedenken und der entsprechenden massenmedialen Verwertung gehen wir an dieser Stelle nicht weiter ein.

Kontinuit”ten:
Von der Zerschlagung des deutschen Faschismus als Staatsform, die kein biþchen von Ñinnenì unterst¸tzt wurde, sind die ideologischen Grundlagen weitgehend unber¸hrt geblieben. ÑReeducationì war die Jagd nach dem ÑPersilscheinì und die Forderung nach Amnestien und ÑSchluþstrichenì war von der sogenannten Stunde Null an immer im (deutschen) Raum. Erst Walser hat den Diskurs des Wegschauens und Nicht-Mehr-Wissen-Wollens auf einer –ffentlichen Ebene hegemonief”hig gemacht: Die ewige Schluþstrichforderung erg”nzt den Ñewigen Judenì. Der sekund”re Antisemitismus, nicht trotz, sondern wegen Auschwitz, das die Deutschen den Juden nie verzeihen, ist zu allen Klischees, die teils codiert weiterexistieren noch hinzugekommen. Der Antizionismus als Tarnkappe f¸r Antisemitismus kam in der Linken hinzu.

1.ìDie Juden sind unser Ungl¸ckì (H. v. Treitschke) - Juden in Deutschland und die Herausbildung des deutschen Nationalbewuþtseins
Klaus Mellenthin wird nicht diverse Theorien der Nation er–rtern, sondern eine Darstellung, wesentlich anhand von Bildern (und Vorstellungen), anhand der aufgezeigt wird, dass (auch) das Bild vom ÑAnderenì (ÑFremdenì) konstitutiv ist f¸r die Herausbildung eigener Identit”t, ob individuell oder kollektiv. Bei den Bildern handelt es sich um in Publikationen ver–ffentlichte judenfeindliche Karikaturen aus dem 19. und den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts sowie um Bildpostkarten (Spottkarten), die von etwa 1890 bis Anfang der 1930er Jahre groþe Verbreitung hatten. Es geht um Antisemitismus als kulturellen Code.

2. Entgegen dem immer noch verbreiteten Mythos der sich nicht wehrenden J¸dInnen w”hrend der NS-Vernichtungspolitik gab es immer wieder Widerstandsaktionen von verschiedenen j¸dischen Gruppierungen. Darum wird es im Vortrag von Joachim Tautz am 31.1. gehen: J¸discher Widerstand gegen den Holocaust
Stichworte sind die Berliner Herbert-Baum-Gruppe, KZ- und Ghettoaufst”nde sowie die Organisierung von Ðberleben und Flucht.

3. Der Barmherzige Samariter oder warum die Christen achtlos an den Juden vorbeigingen als sie unter die Nazis fielen. Eine Exegese
Der christliche Antisemitismus ist das Thema eines Vortrages, den Klaus Dede am Donnerstag, 3. Februar 2000 um 19.30 Uhr im BIS-Saal der Carl-von-Ossitzky-Universit”t halten will. Das Thema lautet: ÑDer barmherzige Samariterì. Dede will hier das Verhalten der Kirchen anl”þlich des Boykotts j¸discher Gesch”fte am 1. April 1933 und des ÑTages der Nationalen Arbeitì am 1. Mai 1933 miteinander vergleichen und dabei untersuchen, warum die beamteten Christen einerseits die Verfolgung der Juden billigend in Kauf nahmen und zugleich die Terrorherrschaft der Nazis - zumindest in ihren Anf”ngen - ausdr¸cklich unterst¸tzten. ÑNat¸rlich - so Dede - kam es zwischen Christen und Nazis zum Streit - aber in der Ablehnung der Juden waren sie sich einig; das gilt es zu analysieren.ì ,,Christen sind Antisemiten - sonst sind sie keine Christen!ì Diese These vertritt der Oldenburgische Schriftsteller Klaus Dede in einem Vortrag, der vom ASTA der Carl-von-Ossietzky-Universit”t veranstaltet wird und innerhalb der Veranstaltungsreihe-Reihe zum deutschen Antisemitismus stattfindet. Dedes Aufh”nger - und das ist auch das Thema -ist die Geschichte vom Barmherzigen Samariter. Dede: ,,In diesem Gleichnis erz”hlt Jesus, wie ein Levit und ein Priester achtlos an einem Mann vor¸bergehen, der unter die R”uber gefallen ist und schwer verletzt am Wege liegt. Erst der verachtete Samariter hilft ihm.ì Mit der Geschichte antwortet Jesus auf die Frage, wer denn der N”chste sei, den man, so das Gebot der Thoraí lieben solle. Dede sagt nun: ,,Das Gebot der N”chstenliebe ist nun wirklich sowohl f¸r Juden als auch f¸r Christen zentral. Aber als bei dem Boykott j¸discher Gesch”fte am 1. April 1933 durch die Nazis die Juden f¸r alle sichtbar unter die Nazi-R”uber fielen, verhielten sich alle Berufschristen - mit einer Ausnahme unter 40.000 Priestern und Pastoren - genau so wie der Levit und der Priester und nicht einer wie der Barmherzige Samariter. Und schlimmer noch: Als die Nazis am 1. Mai den ,,Tag der Nationalen Arbeitì feierten, haben die Berufschristen ¸berall im Deutschen Reich ein hymnisches Lob auf Adolf Hitler und seine NSDAP gesungen, obwohl zahlreiche Menschen -Sozialdemokraten, Kommunisten, Juden - rechtswidrig in Konzentrationslagern festgehalten und gefoltert wurden, was jeder wuþte. Von den Christen kam kein Wort des Protestes oder auch nur des Mitleids - warum?ì Klaus Dede - ¸brigens ein Pastorensohn - hat diese Frage in einer umfangreichen Arbeit untersucht, die voraussichtlich in diesem Herbst unter dem Titel ,,Der barmherzige Samariter. Eine Exegeseì erscheinen wird. Seine These lautet, daþ die beamtete Christen sich nicht aus B–sartigkeit so verhielten, sondern weil sie ¸bereinstimmend der Ansicht waren, daþ die Juden f¸r die Christen Feinde sind, die ausgel–scht werden m¸ssen, jedoch nicht auf dem Wege der physischen Vernichtung, wie das die Nazis praktizierten, sondern auf dem der Bekehrung. ,,Aber in der Meinung, daþ Juden als Juden kein Existenzrecht haben, waren sich Nazis und Christen einig,ì betont Dede. Dabei leugnet er keineswegs den Konflikt zwischen den V–lkischen (von denen die Nazis nur eine Fraktion bildeten) und den Christen, aber der bezog sich auf einen anderen Punkt: ,,Die Heilslehre der Nazis und diejenige der Christen schlossen einander aus. Als sich die NSDAP als Kirche konstituierte mit dem eigenen Funktion”rskorps als Priesterschaft und Hitlers ÑMein Kampfì als Evangelium war der Konflikt mit den christlichen Organisationen unausweichlich. Dennoch haben die Christen - von Ausnahmen abgesehen, von denen Karl Barth und Dietrich Bonhoeffer die bekanntesten waren - immer den Kompromiþ mit den Nazis gesucht und zwar auf der Grundlage des gemeinsamen Kampfes gegen das Judentum (wiederum Bonhoeffer ausgenommen),ì betont Dede. Das zeige sich besonders daran, daþ nach der Befreiung die ,,Deutschen Christenì, die sich kompromiþlos auf die Seite der Nazis geschlagen hatten, entweder im Dienst der Kirche blieben oder aber nach einer Schamfrist wieder aufgenommen wurden. Die Judenfeindschaft war niemals ein Grund, einen Pfarrer oder Professor zu entlassen. Dennoch spricht man in der Kirche heute gerne von einer christlich-j¸dischen Tradition. ,,Hier t”uschen die Berufschristen bewuþt und gezielt ihre Gl”ubigen,ì sagt Dede, ,,denn eine solche gibt es nicht. Es gibt eine j¸dische und eine christliche Tradition und die eine schlieþt die andere aus. Die Kirchen k–nnen ihren Antisemitismus verschleiern und das tun sie auch - aufgeben k–nnen sie ihn nicht.ì

4. Um die Ñpostmoderne, ironische Varianteì von Antisemitismen und Rassismen geht es am 8.2. im Vortrag und in den Kurzfilmen ÑNormalit”t I, II und IIIì von Hito Steyerl:ìDifferenz-Nazis must dieì - Rassismen und Antisemitismen im Kontext von globalem Differenzkapitalismus
Seit 1989 hat sich die Oberfl”che g”ngiger Rassismen und Antisemitismen massiv ver”ndert. Diese Anschauungen wurden in den Wertekanon einer ÑNeuen Mitteì integriert, die sich um eine geschichtsblinde ÑNormalisierungì eines (Angefragt sind f¸r eine Abschluþdiskussion ¸ber neuere deutsche Gedenkpolitik: Tjark Kunstreich (Jungle World) und G¸nter Jacob. Ebenso angefragt f¸r den 09.02. sind Lars Rensmann und Alfred Schobert. Mittwoch, den 9.2. und Mittwoch, den 16.2 geht es um Gegenveranstaltungen zur Hannah Arendt-Tagung der Uni. Am 16.2. ist wiederum Scheit angefragt f¸r eine Veranstaltung mit dem Titel: Autorit”rer Staat und Krise des Kapitals. Totalitarismusvorstellungen bei Hannah Arendt und der Kritischen Theorie; 20h, bis-Saal) neu erstarkten Deutschlands bem¸ht. Vor allem das Design rassistischer und antisemitscher Hetze hat sich auf verbl¸ffende Weise gewandelt: aus tumben Blut-und-Boden-Nazis wurden Differenz-Nazis, die mit post-strukturalistischen Ans”tzen und Versatzst¸cken globaler Popkulturen hantieren. Erstaunlich dabei ist, dass v–lkische Impulse nicht mehr inkompatibel sind mit der Identifikation mit den fr¸heren Feindbildern. Laut Zygmunt Bauman werden nun gerade die Insignien fr¸herer Fremdheit und Abjektheit in den Rang einer universalen Condition Humaine der Postmoderne erhoben. Ethnizit”t, Abstraktheit, Entfremdetheit, K¸nstlichkeit, all diese Eigenschaften, die fr¸her designierte Feinde der bestehenden Ordnung gekennzeichnet hatten, werden nun umgekehrt als Markenzeichen einer globalen Klasse rekuperiert, die ihre Macht unter ver”nderten Vorzeichen aus¸bt. Was fr¸her die negativen Effekte des Kapitalismus, seine entfremdenden und egalitaeren Aspekte ausmachte, wird heute zur Designhuelle der neo-imperialistischen Nation. Eigenschaften wie Homogenit”t und Identit”t, welche bislang dominanten Subjekten zugeschrieben wurden, erweisen sich nun als Wettbewerbsnachteile in einem angeblich entgrenzten Zeitalter. Die umgekehrte Aufwertung von Eigenschaften, die fr¸her als Indikatoren verfemter Fremdartigkeit galten, ”ndert jedoch nichts daran, dass sich Rassismen und Antisemitismen, egal wie postmodern sie sich geben, mit untr¸glicher Sicherheit gegen die gleiche Zielgruppen wie eh und je wenden. Mit pseudoprogressiven Mitteln wie dem sogenannten Tabubruch oder sogenannter Ironie bricht sich das Ressentiment weiterhin Bahn. Dabei entstehen bislang unbekannte Verschr”nkungen: v–lkische Denkformen kollaborieren problemlos mit Formen globaler Kultur. Letztere schien per se gegen solche Vereinnahmungen gefeit zu sein; schliesslich bedeutete die (auch kulturelle) Westbindung hierzulande eine Absage an faschistoide Sonderwege. Dieses Urteil muss jedoch revidiert werden. V–lkisch-popkulturelle Formationen wurden zwar in letzter Zeit bevorzugt am neuen Anderen des Differenzkapitalismus, n”mlich in Jugoslawien beobachtet, deren Eliten Ñwestlicheì Artikulationen der Popkultur mit klassisch nationalistischen Inhalten verbinden k–nnen. ÑDas ist das Paradoxe, schreibt Slavoj Zizek im Magazin der S¸ddeutschen, - die pro-westliche Einstellung koexistiert mit einer ganz grundlegenden Beeinflussung durch die nationalen Mythen. Das ist wirklich schwer zu verstehen - und das ist ¸brigens nicht nur in Serbien so, sondern auf dem ganzen Balkan.ì Schwer zu verstehen in der Tat, zumal ¸brigens die Beeinflussung durch nationale Mythen nicht nur auf dem Balkan gegeben sein soll, wo sich von Deutschen gefahrlos dar¸ber sinnieren l”sst, sondern problemlos auch im S¸ddeutschen Magazin selbst nachgewiesen werden kann. Es gen¸gt vollkommen, nur einige Seiten vorzubl”ttern um nicht nur serbische Differenz-Nationalisten, sondern hartgesottene deutsche Differenz-Nazis zu entdecken, wie etwa Claudius Seidl: ÑNat¸rlich sind die M”nner auch fr¸her schon ins Ausland gereist (..) sie packten ihre Speere und Schwerter ein und dann zogen sie los, in ziemlich grossen Gruppen und wenn sie am Reiseziel angekommen waren, pl¸nderten sie die Lager, trampelten Mauern und H”user nieder, hauten sch–ne, grosse St”dte in Tr¸mmer und wenn alles kaputt war, zogen sie weiter (..). So war das also fr¸her.ì Zum Beispiel in Hitlers Wehrmacht, nicht nur in Jugoslawien. Auch damals hatte das niemand so gemeint; schreibt Hannah Arendt noch vom grossen Niemand als Subjekt der v–lkermordenden B¸rokratie ist der grosse Nemo heute in die subjektlosen Formationen postmodernen Ressentiments eingewandert. W”hrend solche postmodernen Artikulationen Erstsemester geistiger Hilfswissenschaften zu semiotischen Interpretationsexzessen hinreissen, bleibt deren ressentimentgeladener Inhalt glasklar traditionellen v–lkischen Denkmustern verhaftet. Merke: ist nicht so gemeint. Alles nicht-identisch, harharhar. Ungef”hr wie Heidegger in SA-Uniform, des grossen Prototypen des Differenz-Nazis. Unverst”ndlichkeit geh–rt zum Gehabe: was fr¸her der Kult um die Deutung von Stefan Georges schw¸lstigem Geraune war, ist jetzt der um Harald Schmidts markiges Gefasel. Die Liste der stetig interpretationsbed¸rftigen und subjektlosen Beispiele autonom randalierender Texte ist Legion; neben Martin Walser d¸rfen das halbe b¸rgerliche Popfeuilleton, sowie Knallchargen wie Christoph Schlingensief bedenkenlos den Differenznazis zugeschlagen werden, w”hrend ein unbeugsamer Rest mit den formalen Mitteln der Popkultur nach wie vor aufkl”rerisch unterwegs ist.

5. Lieber wird - in der Linken - von Antisemitismus-Vorw¸rfen geredet, als vom Antisemitismus selbst. Nestbeschmutzung bleibt notwendig. Der Vortrag von Katharina Seewald am 10.2. hat Antisemitismus und die Linke zum Thema.