Freiheit
f¸r Sabine, Harald und Axel
Zu den Festnahmen
dreier Personen aufgrund eines Verdachts auf Mitgliedschaft in der RZ
und zu den Durchsuchungen im Berliner Mehringhof dokumentieren wir zwei
Artikel aus der Jungen Welt
junge Welt 21.12.1999
Wen
sucht die Bundesanwaltschaft?
Nach
den Razzien gegen die Revolution”renZellen/Rote Zora:
Auþenminister Fischer im Zwielicht
Die Hauptvorw¸rfe aus dem Haftbefehl gegen drei mutmaþliche Mitglieder
der ªRevolution”ren Zellen/Rote Zora (RZ)´, die am vergangenen Sonntag
mit groþem Polizeiaufgebot in Berlin und Frankfurt/Main verhaftet worden
waren, sind bereits verj”hrt. Das best”tigte die Bundesanwaltschaft gegen¸ber
jW. Warum trotzdem das Alternativzentrum ªMehringhof´ in Berlin-Kreuzberg
mit Hunderten Polizeibeamten durchsucht wurde und zahlreiche Besucher
¸ber Stunden grundlos festgehalten wurden, begr¸ndet die Bundesanwaltschaft
mit der Suche nach Sprengstoff und Waffen, die angeblich dort gelagert
w”ren. ªWir hatten mehrere Hinweise darauf, daþ dort der gesuchte Sprengstoff
gelagert wird´, rechtfertigte die Bundesanwaltschaft die Unverh”ltnism”þigkeit
der Mittel. Ðber 30 Projekte wurden Opfer der w¸sten Durchsuchungsaktion
von Polizei, Grenzschutz und Beamten des Bundeskriminalamtes, die selbst
Fahrstuhlsch”chte und Handtaschen der zuf”llig anwesenden Besucher ª”uþerst
r¸de´ kontrollierten. Die Durchsuchungen h”tten einen Schaden verursacht,
der sich auf 100 000 DM belaufe, erkl”ren die Sprecher des Mehringhofes.
Gefunden wurde allerdings nichts. Die Tatvorw¸rfe im einzelnen: Die 53j”hrige
Sabine E. aus Frankfurt/Main und der 51j”hrige Harald G. aus Berlin sollen
an einem Anschlag auf dieZentrale Sozialhilfestelle f¸r Ausl”nder in Westberlin
im Jahre 1987 beteiligt gewesen sein. Am 1. September 1987 sollen die
beiden auch bei einem Attentat auf den damaligen Vorsitzenden Richter
am Bundesverwaltungsgericht, Korbmacher, mitgewirkt haben. Zudem wird
Sabine E. auch vorgeworfen, an einen Anschlag auf den Chef der Berliner
Ausl”nderbeh–rde Hollenberg im Oktober 1986 beteiligt gewesen zu sein.
Beiden Opfern wurde seinerzeit von Unbekannten gezielt in die Beine geschossen.
Die ªRevolution”ren Zellen´ hatten damals zu militanten Aktionen gegen
die skrupellose Asylpolitik der Berliner Ausl”nderbeh–rde und gegen die
Praxis einer rigiden Abschiebungspolitik des Bundesverwaltungsgerichts
aufgerufen. Dem ebenfalls verhafteten Axel H. wirft die Bundesanwaltschaft
vor, ¸ber Jahre Mitglied der ªRevolution”ren Zellen´ gewesen zu sein und
ein Sprengstoff- und Waffendepot der Organisation ªbetreut´ zu haben.
Auþerdem wird einem Teil der Verhafteten angelastet, 1991 einen Bombenanschlag
auf die Berliner Siegess”ule versucht zu haben. ªDas ist auch der Grund,
warum wir die Leute verhaften konnten, denn dieser Anschlag ist ja noch
nicht verj”hrt´, erkl”rt die Bundesanwaltschaft. Ins Rollen kam die Verhaftungswelle
gegen die mutmaþlichen RZ-Aktivisten - die Organisation hatte schon 1992
ihren Untergrundkampf in mehreren offiziellen Erkl”rungen eingestellt
- durch den im vergangenen Jahr nach 24 Jahren Flucht in Frankreich verhafteten
Hans-Joachim Klein. Klein hatte zusammen mit dem legend”ren ªCarlos´ und
drei weiteren T”tern im Dezember 1975 die Konferenz der OPEC-Minister
in Wien ¸berfallen. Dabei wurden drei Menschen erschossen und elf Erd–lminister
nach Algerien entf¸hrt. Kaum in Deutschland in Haft, machte Klein umfassende
Aussagen. Als erstes wurde im Oktober diesen Jahres der 57j”hrige Rudolf
Schindler, als angeblicher Kopf der RZ, in Frankfurt verhaftet. Anfang
November wurde dann in Berlin der Iraner Tahrik M. unter dem Vorwurf der
RZ- Mitgliedschaft verhaftet und nach einem Teilgest”ndnis wieder auf
freien Fuþ gesetzt. Obwohl alle den dreien vorgeworfenen Taten verj”hrt
sind, will die Bundesanwaltschaft offensichtlich noch Taten aufkl”ren,
die bislang im dunkeln liegen, vor allem den Mord am ehemaligen Schatzmeister
und hessischen Wirtschaftsminister Heinz Herbert Karry 1981. Karry war
seinerzeit im Schlafzimmer seines Hauses von Unbekannten erschossen worden.
Die RZ hatte damals die Verantwortung f¸r dieses Attentat ¸bernommen und
mit Karrys Engagement f¸r eine neoliberale Politik und seinem Eintreten
f¸r den heftig umstrittenen Ausbau des Frankfurter Flughafens begr¸ndet.
Die Waffe, mit der Karry erschossen wurde, war 1973 von Hans-Joachim Klein
mit dem Auto des heutigen Auþenministers und damaligen ultralinken Steinewerfers
Joseph Fischer transportiert worden. Fischers Freund, der heutige Europaabgeordnete
der franz–sischen Gr¸nen, Daniel Cohn-Bendit, hatte unmittelbar nach der
Festnahme von Klein –ffentlich einger”umt, den gesuchten OPEC- Attent”ter
Klein bei seiner Flucht ¸ber 23 Jahre mit Geld unterst¸tzt zu haben. Erst
unl”ngst hatte der CDU- Abgeordnete Dietrich Austermann im Reichstag den
Auþenminister aufgefordert, ªendlich Klarheit in diese Angelegenheit zu
bringen und offen zu sagen, inwieweit er in diese Tat verwickelt ist´.
Ob die Verhaftungen jetzt im Zusammenhang mit den Ermittlungen im Mordfall
Karry stehen, wollte die Bundesanwaltschaft nicht best”tigen. ªDazu sagen
wir nichts´. Szene-Spekulationen, daþ die Verhaftungen mit Restfunden
aus dem Reservoir des Ministeriums f¸r Staatssicherheit (MfS) der ehemaligen
DDR zur¸ckzuf¸hren sind, sind nach Aussage der damals zust”ndigen Sachbearbeiter
barer Unfug. Die Erkenntnisse ¸ber die RZ wurden im MfS unter dem Vorgang
ªOV Schlag´ gef¸hrt und sind bis auf wenige Fragmente vernichtet worden.
ªDie Verr”ter´, so ein ehemaliger Oberst der zust”ndigen Abteilung im
MfS heute, ªsitzen in den eigenen Reihen´.
Till Meyer, Frankfurt/Main
junge Welt 22.12.1999
Terror im Puppentheater
Bundesanwaltschaft best”tigte Haftbefehle gegen mutmaþliche Mitglieder
der Revolution”ren Zellen
Die Verfahren gegen
die drei mutmaþlichen Mitglieder der Revolution”ren Zellen/Rote Zora (RZ)
wird im Eilverfahren durchgezogen. Der Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof
(BGH) hat die Haftbefehle gegen die 53j”hrige Sabine Barbara E., den 49-j”hrigen
Axel H. und den 51j”hrigen Harald G. am Dienstag in ªvollem Umfang´ best”tigt.
Die drei Personen wurden am vergangenen Sonntag in Berlin beziehungsweise
in Frankfurt am Main mit einem groþen Polizeiaufgebot festgenommen. Allen
dreien wird die Mitgliedschaft in einer ªterroristischen Vereinigung´
vorgeworfen. Zwei der Verhafteten sollen auch an verschiedenen Anschl”gen
der RZ in den 80er und 90er Jahren beteiligt gewesen sein. Die Bundesanwaltschaft
st¸tzt sich bei ihrem Haftbefehl auf die Aussagen eines ebenfalls verhafteten
mutmaþlichen Mitglieds der RZ, Tarik Mousli. Entgegen fr¸heren Angaben
der Bundesanwaltschaft handelt es sich bei dem in der Justizvollzugsanstalt
K–ln/Ossendorf Inhaftierten um einen staatenlosen Pal”stinenser. Mousli
hatte gegen¸ber den Ermittlungsbeh–rden bereits Anfang November umfangreiche
Aussagen gemacht, die auch zu neun Hausdurchsuchungen in Berlin und Frankfurt/Main
f¸hrten. Mousli war aufgrund des Gest”ndnisses des im vergangenen Jahr
in Frankreich verhafteten Hans- Joachim Klein festgenommen worden. Die
Berliner Rechtsanw”ltin Silke Studzinsky, die Harald G. vertritt, vermutet
hinter dem umfangreichen Gest”ndnis Mouslis Eigennutz. ªWir glauben, daþ
er sich durch die Beschuldigungen erhofft, in den Genuþ der Kronzeugenregelung
zu kommen´, so Studzinsky am Dienstag zu junge Welt. Nach der Regelung,
die im neuen Jahr nicht mehr verl”ngert wird, h”tte Mousli durch seine
Aussage ein weitaus geringeres Strafmaþ zu bef¸rchten. Die Anw”ltin vermutet,
daþ die Anklage daher bis Jahresende erhoben werden soll. Nach Studzinskys
Angaben wurden die Festgenommenen umgehend aus Berlin weggebracht und
voneinander isoliert in Wuppertal, D¸sseldorf und Frankfurt am Main inhaftiert.
Dieses Vorgehen gleicht dem Umgang mit RAF- Gefangenen in den 80er Jahren.
Nach Angaben seiner Rechtsanw”ltin hat Harald G. lediglich Angaben zu
seiner Person gemacht und weitere Aussagen verweigert. Eine Sprecherin
der Bundesanwaltschaft erkl”rte am Dienstag gegen¸ber jW, daþ in den Privatr”umen
des Inhaftierten Harald G. elektronische Bauteile gefunden worden seien.
Ob diese zum Bau von Sprengs”tzen dienlich sein k–nnten, ªm¸ssen aber
noch Experten pr¸fen´. Dies werde sich bis ins neue Jahr hinziehen. Die
Festgenommenen blieben bis dahin in Haft. Mousli hatte gegen¸ber der Bundesanwaltschaft
erkl”rt, daþ im Alternativzentrum ªMehringhof´ in Berlin-Kreuzberg Waffen
und Sprengstoff in der N”he oder unmittelbar in einem Fahrstuhlschacht
gelagert seien. Bei seiner Aussage habe er auch die Namen der am Sonntag
Festgenommenen genannt und besonders Axel H. beschuldigt. Die Bundesanwaltschaft
startete daraufhin eine der bundesweit gr–þten Polizeiaktionen der letzten
Jahre. Bei der Pressekonferenz der Betreiber des Mehringhofes am Dienstag
wurde von Olivia S., Sprecherin des Zentrums, der bei der Polizeiaktion
entstandene Sachschaden abschlieþend auf ªknapp 100 000 Mark´ beziffert.
Es habe sich um den gr–þten Polizeieinsatz in der 20j”hrigen Geschichte
des Mehringhofes gehandelt. 50 T¸ren wurden aufgebrochen, in allen 30
in dem Geb”ude arbeitenden Projekten wurden Nachforschungen angestellt.
Besonders absurd: Am st”rksten w¸teten die Beamten in der Werkstatt eines
Puppentheaters. Hier wurden Verkleidungen von W”nden und Decke abgerissen,
Glas ging zu Bruch. Um gegen diese ªvollkommen ¸berzogenen´ Aktionen und
f¸r die Freilassung der drei Inhaftierten Mitarbeiter des Mehringhofes
zu protestieren, findet am heutigen Mittwoch um 18 Uhr eine Demonstration
am Berliner U- Bahnhof Mehringdamm statt. Till Meyer/Harald Neuber
Der Mehringhof
Der Mehringhof ist ein linkes Zentrum in Berlin Kreuzberg, in der ber¸hmten
Gneisenaustr. 2a. 1980 wurde das ehemalige Fabrikgeb”ude von mehreren
linken Gruppen und Projekten gekauft. Tragend bei der Gr¸ndung des Mehringhofes
war die SFE, die Schule f¸r Erwachsenenbildung. 1972 gab es an der privaten
Gabbe Lehranstalt einen Schulstreik gegen autorit”re Schulleitung, reaktion”re
Schulordnung und Leistungsdruck. 1973 Gr¸ndete sich die SFE als der Versuch,
eine selbstverwaltete und emanzipatorische Schule zu gr¸nden, erst 1980
kaufte die SFE, zusammen mit anderen linken Gruppen und Projekten, den
Mehringhof. Heute ist er Mehringhof ein riesengroþes linkes und linksradikales
Zentrum, mit CafÈ (EX), Versammlungsr”umen, Buchladen, Fahrradselbsthilfewerkstatt
uvm. Z.B. haben sich die Antifa Jungendfont, das Antifa Infoblatt, Das
ID Archiv, der Ermittlungsausschuss, das FDCL (Forschungs- und Dokumentationszentrum
Chile- Lateinamerika), das FFM (Forschungszentrum Flucht und Migration),
die beliebte Illustrierte Interim, Der Buchladen und Verlag Schwarze Risse,
ein Theaterprojekt, einige Rechtsanw”ltInnen und ganz ganz viele andere
im Mehringhof niedergelassen und auch organisiert.
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