Raimund Hethey
& Wolfgang Schwieder
Neo-Nazi-Strukturen in Ostfriesland
Im neuen Jahr führte der Staatsschutz verschiedene Razzien in der Neo-Nazi-Szene von Ostfriesland durch. Der Eindruck, die Exekutive setze das vom Bundeskanzler versprochene schärfere Vorgehen gegen den Rechtsextremismus endlich durch, täuscht bei näherem Hinsehen. Über organisatorische Hintergründe und personelle Verflechtungen erfährt die Öffentlichkeit wenig. Der Neofaschismus hat in Ostfriesland eine lange Tradition und was durch die Razzien Jetzt aufgedeckt und zum Teil auch vertuscht wird, ist seine kontinuierliche und konsequente Weiterentwicklung, ohne dass sich nennenswerter Widerstand dagegen zeigt.
Kontinuitäten
Zu Beginn der 50er Jahre, zu Zeiten des Generalmajors a. D. Otto Ernst Remer, war Ostfriesland bevorzugte Kampf-Region". In Wahlkampfzeiten verging kaum ein Wochenende ohne Massenschlägereien zwischen Anhängern der faschistischen Sozialistischen Reichspartei" (SRP) und Antifaschistinnen. Die Nachfolgeorganisation der 1952 verbotenen SRP, die NPD konnte an die Erfolge der SRP in den 60er Jahren anknüpfen. Mitte der 70er Jahre hatte Michael Kühnen mit seiner NSDAP-Wiederbelebung ebenso eine feste Basis in Ostfriesland wie danach Christian Worch mit der GDNF und deren Ableger Deutscher Kameradschaftsbund" (DKB). Im Zusammenhang mit dem NSDAP-Aufbau von Michael Kühnen waren gerade in Ostfriesland Verbindungen bis in das kriminelle Milieu von Waffenschiebern aufgedeckt worden. Vielleicht hat der Staatsschutz gerade deshalb bei dem aktuellen Waffenfund in Emden Anfang Januar diesen Jahres sofort von sich aus alle Verbindungen zu den Razzien bei den Neo-Nazis abgestritten. Die Verbote von SRP und dem DKB haben die ostfriesischen Neo-Nazis nicht eingeschüchtert, weil sie nie konsequent durchgesetzt wurden. Stattdessen wiederholen die Örtlichen Polizeichefs seit 15 Jahren monoton, eine organisierte rechtsextreme Szene haben wir hier nicht." Das Medien-Echo auf die aktuellen Razzien beschränkte sich denn auch nur auf die Regionalpresse. Läge Emden im Osten der Republik, wäre die Reaktion gewiß anders ausgefallen. Immerhin titelte die Emder Zeitung am 13. Januar diesen Jahres:
Größter Nazi-Fund in Ostfriesland"
In Emden hatten Beamte einer Sonder-kommision die Früchte ihrer Razzia vom 10. Januar präsentiert: 5000 CDs, aber auch T-Shirts und Zeitschriften wurden bei 14 Durchsuchungen in den Landkreisen Leer, Aurich, Vechta, Celle, Diepholz, Hamm und Dortmund gefunden. Ein Teil der Nazi-Ware war für den Export nach Schweden bestimmt. 65 Beamte vom Landes- und Bundeskriminalamt waren an den Ermittlungen beteiligt. Den Wert der CDs gaben der Leitende Oberstaatsanwalt Werner Kramer und KHK Horst Bolle mit ca. 150.000 Mark an. Unter den CDs fielen den Beamten 600 Stück von der CD Jugendträume" mit einem Kinderbild von Hitler auf. Die T-Shirts trugen Aufdrucke wie Oidoxie auf Terrortour" oder Weiß & Rein." Juden raus" steht auf einem der Magazine. Sechs Tatverdächtige wurden vorübergehend festgenommen. Unter den Festgenommenen war auch der 23-jährige stellvertretende Landes Vorsitzender der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten" (JN), Cord Pleis aus Leer. Wegen Beihilfe zur Volksverhetzung und Verwendung verfassungswidriger Kennzeichen ermittelt die Staatsanwaltschaft auch gegen den JN-Landesvorsitzenden Danny Marquardt.
Die NPD-Struktur
Cord Pleis ist der Auricher Antifa schon lange als agiler Neo-Nazi bekannt (vgl. DRR, Nr. 42, S. 13). Er absolvierte eine Lehre im väterlichen Geschäft für Sanitäranlagen. Mit 16 Jahren machte er einen Jagdschein und suchte Kontakt zu rechten Skinheads. Mit spätestens 21 Jahren war er bei der Jugendorganisation der NPD organisiert. Er unterstützte die Linie vom jetzigen Mitglied des NPD-Bundesvorstands, Holger Apfel, die damals darin bestand, sich offen mit dem militanten Neo-Faschisten aus der GDNF-Struktur um Christian Worch undThomas Wulff aus Hamburg zusammen zu tun. Einer breiten Öffentlichkeit fiel Pleis bei dem Aufmarsch in Cloppenburg am 5. April 1998 auf, bei dem die Neo-Nazis die Todesstrafe für Kinderschänder" forderten. Schon früh im elterlichen Haus auf Geschäftstüchtigkeit getrimmt, suchte Pleis auch bei den Neo-Nazis seinen persönlichen materiellen Gewinn zu erzielen. Hier bot der CD-Handel im kulturellen Umfeld des Nazi-Skinhead-Milieus gute Möglichkeiten. Nachdem der Lingener Neo-Nazi Jens Ulrich Hessler durch eine ähnliche Polizeiaktion 1998 aus dem Verkehr gezogen wurde, kann vermutet werden, dass Pleis in seine Fußstapfen getreten ist. Hier sind alte Strukturen der inzwischen verbotenen FAP und GDNF immer noch wirksam. Der inzwischen in Dortmund agierende Markus Samland, den Deutschlands bekanntester militanter Neo-Nazi Christian Worch wegen seiner Einsätze bei den jüngsten Aufmärschen in Nordrhein-Westfalen im Internet lobte, hat seine Meldeadresse immer noch in Ostfriesland, wo er regelmäßig im Verbund mit Nazi-Glatzen auftritt. Samland soll etliche Auricher Adressen für das Anti-Antifa-Pamphlet Der Einblick" zur Verfügung gestellt haben (vgl. DRR, Sonderheft l). Nicht nur Nazi-Kontakte dienen Pleis als Einnahmequelle. Im Zuge der Hausdurchsuchung wurde bekannt, dass sich Pleis eine Menge Kohle bei einer Versicherung verdient. Zu seinen Kollegen zählen dort auch Polizeibeamte aus Ostfriesland, die durch aggressive Kundenwerbung bis 5.000 DM monatlich zusätzlich zu ihrem Gehalt eingenommen haben sollen. Inzwischen hat die Polizei in Oldenburg gegen zwei Auricher Beamte Ermittlungen wegen der ausufernden Nebentätigkeit aufgenommen. Ein Beamter ist nach Auskunft von Kühme, dem Leiter der Polizei in Weser-Ems, suspendiert worden. Nicht nur die von der Polizei für Ostfriesland nun öffentlich zugegebenen 100 bis 110 Skinheads hat Pleis, der von der Staatsanwalt als Drahtzieher" angesehen wird, mit Nazi-Stoff versorgt. Über das Label Moin-Moin-Records" und ein dazugehöriges Fanzine knüpfte er ein bundesweites Vertriebsnetz, das schließlich seine Produkte auf dem internationalen Markt anbieten konnte. Erbediente zunehmend auch eine Klientel aus dem Dark Wave Bereich. Der durch einen heimtückischen Mord seit 1993 bekannte Sänger der Gruppe Absurd", Hen-drik Möbus, wurde in dem Fanzine Moin Moin" (Nr. 3, 1999) interviewt. Inzwischen zeichnet Jens Siefert (ehemals FAP-Mitglied und früherer Mitbetreiber des Nationalen Info-Telefons") für die Seite verantwortlich. Siefert hat die moinmoinrecords" für den ersten kommerziellen Neonazi-Provider Netz-punkt" reservieren lassen. Als Kontaktadresse wird neben Siefert, die von BenJamin Poleck mit der Anschrift des ehemaligen JN-Schulungszentrums Kalte Zeit in Ehrenburg/Sulingen angegeben. Zusammen mit JN-Landeschef Danny Marquardt hat sich Siefert auch für die Homepage der JN-Nieder-sachsen registrieren lassen.
Neben, der Logistik wurden der militanten Jung-Nazi Szene in Ostfriesland immer wieder Konzertveranstaltungen geboten, von denen die meisten der Öffentlichkeit entgangen sein dürften. Im Oktober des letzten Jahres sorgte allerdings ein Neonazi-Spektakel in Holterfehn/Leer bei Anwohnern für Ärger. Sie warfen der Polizei vor, nur tatenlos zugesehen zu haben, anstatt die Veranstaltung rechtzeitig aufzulösen. So habe die Polizei geflissentlich Heil-Hitler"-Rufe und antisemitische Parolen überhört. Als Entschuldigung führte der Einsatzleiter der Polizei, Oberrat Werner Schiig, an, es sei möglich, dass das Gegröle wegen eines seitlichen Fensters bei den Nachbarn akustisch besser wahrgenommen worden ist.
NPD-Schläger und Kampfhunde
Gilt Cord Pleis als geschäftiger Schreib-tischtäter, sind andere, der NPD nahe stehende Kameraden" für das Grobe vorgesehen. Thomas Hiebenga mußte auf Betreiben des Bürgermeisters Peter Freese-mann das Dorf Weener verlassen, weil seine Wohnung zum Treffpunkt militanter rechter Nazi-Skins wurde. Gegen den ihn erteilten Platzverweis hat er inzwischen mit Hilfe des NPD-Bundesvorstands eine Verwaltungs-klage gegen den Bürgermeister angestrengt. Neben dem NPD-Bundesvorstandsmitglied Frank Schwerdt hat sich der Pressesprecher der NPD, Klaus Beier, in einer Presseerklärung gegen den couragierten Bürgermeister positioniert. In einem Gespräch mit der regionalen Zeitung Wecker" erklärte Hiebenga, der wegen Körperverletzung vorbestraft ist, Anfang Dezember, dass er den Ort Weener, aber nicht die rechte Szene verlassen habe. Während des Gesprächs trug Hiebenga ein T-Shirt der Neonazi-Band Kraftschlag", deren Gitarrist Patrick Janssen (Yggdrasil") aus Ostfriesland kommt. An seinem neuen Wohnort Rhauderfehn will sich Hiebenga zunächst bedeckt halten und sich erst einmal auf NPD-Seminaren" fortbilden. Im Wohnzimmer hängt eine riesige Fahne, die fast so aussieht wie die verbotene Reichskriegsflagge", schreibt die Journalistin Carmen Leonhard im Wecker", die plüschigen Sofakissen sind mit rechten Schlagworten wie White Power" bestickt und an der Tür hängt ein Window-Color-Bild, das an die Wiking-Jugend" erinnert."
Nicht weniger gewalttätig
als Hiebenga ist der 26-j ährige Torsten Jaenicke. Am 9. Februar berichteten
die Ostfriesischen Nachrichten", dass Jaenicke in dem Dorf Esens
seinen Kampfhund, einen Mastino Napolitano, als gefährliche Waffe gegen
einen Mann gehetzt und diesen schwer verletzt habe. Etwa zwei Jahre lang - bis
August 2000 - hatte er die Anwohner des Dünenweges in Aurich-Egels terrorisiert.
Bürgern hatte Jaenicke schon öfters an-gedroht, seine Freunde aus
der rechten Szene würden sich um sie kümmern". Jaenicke,
der Anfang der Anständigen gegen Agenturen der 90er bei der Neuen
Deutschen Jugend" (NDJ) in Norden mitwirkte, einem ost-friesischen Ableger
des inzwischen ver-botenen Deutschen Kameradschafts-bundes", bot
im Moin Moin"-Fanzine Kameraden seine Dienste als Hundeausbilder
an. Die Vielfalt von neo-nazistischen Aktivitäten im Nordwesten der Republik
wird der Öffentlichkeit nur scheibchenweise präsent-iert. Wer sein
Augenmerk nur auf den Osten richtet, könnte geblendet von den dortigen
neonazistischen Entwicklungen, leicht übersehen, dass der braune
Dreck" (Udo Lindenberg) auch vor der eigenen Haustür liegt. Wer sich
allzusehr auf staatliche Eingriffe vertraut, wird merken, dass Verkündigungen
von Zahlenmaterial aus Statistiken und einzelne Razzien nicht ausreichen. Hier
ist eine kritische Öffent-lichkeit gefragt, die Druck auf die Polizei ausübt.
Als am 20. Januar im emsländischen
Detem ein 44-jähriger Mann bei einer Auseinandersetzung mit Jugendlichen
tödlich verletzt wurde, wollte die Polizei nicht zur Kenntnis nehmen, was
etliche Dorfbewohnerinnen bekundeten, dass die Jugendlichen rechte Parolen"
gegrölt und im Vorfeld eines Vereinsfestes Randale" angekündigt
hatten.
aus Der Rechte Rand" März/April 01