LEX RAF

Über den Verteidigerausschluß
in politischen Prozessen

Aus dem Nachlaß von Klaus Croissant

Am 28. März starb Klaus Croissant. Als Rechtsanwalt verteidigte er fast sämtliche Gründungsmitglieder der RAF. Gemeinsam mit anderen wurde er 1975 aus sämtlichen RAF-Verfahren ausgeschlossen. Auf Anregung seiner Freunde drucken wir einen Auszug aus dem Text „Verteidigerausschluß in politischen Prozessen - Instrument des Neuen Faschismus", den Croissant im Juli 1975 geschrieben hat. Er erschien in dem Buch „Politische Prozesse ohne Verteidigung?", das er gemeinsam mit Kurt Groenewold, Ulrich K. Preuß, Otto Schily und Christian Ströbele 1975 im Verlag Wagenbach herausgegeben hat. (jW)

In der Bundesrepublik Deutschland ist am 20. Dezember 1974 nach überstürzten Beratungen vom Deutschen Bundestag innerhalb weniger Wochen nach dem Tode des Revolutionärs Holger Meins ein Gesetz beschlossen worden, durch das die Rechte der Verteidigung erheblich eingeschränkt und Verteidiger vom Gericht von der Verteidigung ausgeschlossen werden können. Das neue Gesetz ist am 1.1.1975 in Kraft getreten. Es trägt faschistischen Charakter. Es ist ein Sondergesetz, das darauf abzielt, politische Verteidigung in einem ganz bestimmten Verfahren - dem Prozeß gegen die Rote Armee Fraktion (RAF) - unmöglich zu machen (Lex RAF). Bundesjustizminister Vogel hat während der Bundestagsdebatte über die innere Sicherheit am 13. MŠrz 1975 erklärt, daß keiner unserer westlichen Nachbarstaaten eine derart weitgehende Regelung über die Ausschließung von Verteidigern kennt. Der staatliche Exekutiv- und Justizapparat fürchtet den Prozeß gegen die RAF: In diesem Prozeß müßten im Falle eines rechtsstaatlichen Verfahrens von der Verteidigung die Beweggründe und die Ziele der RAF sowie das politische Selbstverständnis der Angeklagten in der Hauptverhandlung vor der internationalen Öffentlichkeit dargelegt werden. Dies hätte zur Folge, daß die Verteidigung mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln auf die hinter der Rechtsstaatsfassade der BRD stehenden imperialistischen Machtstrukturen, die Objekte revolutionärer Aktion, ihren gesellschaftlichen und internationalen Zusammenhang, ihre Funktionsmechanismen, die historische und moralische Rechtfertigung revolutionären Handelns eingehen müßte. Ferner müßten die Verteidiger in dem Prozeß darlegen: 1. daß die Staatsschutzabteilung des Bundeskriminalamtes die Beweiskonstruktion der Bundesanwaltschaft durch Aktenmanipulation absichern muß,

2. daß der Verteidigung Ermittlungsunterlagen im Umfang von 1600 Leitz-Ordnern und rund 600000 Seiten vorenthalten werden, die im Verlauf der Bürgerkriegsfahndung gegen die RAF vom Jahre 1972 angefallen sind, 3. daß es in der BRD eine Staatsschutzjustiz gibt, ein Netz von Sondergerichten mit Richtern, über die in der Bundestagsdebatte zur Reform des Staatsschutzrechtes gesagt wurde, daß sie besonders „zuverlässig" sein und eine Èbesondere Entschlußfähigkeit besitzen müssen, besonders ausgebildete Richter also, deren Funktion nach Bundesanwalt Kohlhaas die Bekämpfung „subversiver Tätigkeit" ist,

4. daß es der Auftrag dieser Staatsjustiz ist, die unkontrollierbaren Informationen der Geheimdienste, des Verfassungsschutzes, der politischen Polizei und des Bundeskriminalamtes in Urteile umzusetzen,

5. daß der Staatsschutz in der Bekämpfung der Rückzugsgefechte der legalen Linken gegen die Faschisierung, gegen die Säuberungsfeldzüge in den öffentlichen Institutionen, gegen die periodischen Durchsuchungs- und Beschlagnahmeaktionen durch bis an die Zähne bewaffnete Hundertschaften der Polizei und mobiler Einsatzkommandos die taktischen Informationen sammelt, um die gesamte Linke unter totaler Kontrolle zu halten,

6. daß die illegalen erkennungsdienstlichen Behandlungen Routine geworden sind, die schwarzen Listen angelegt und auf Knopfdruck vom zentralen Computer abfragbar sind,

7. daß schon vor der Verurteilung der Gefangenen aus der RAF besondere Abteilungen mit schallisolierten Zellen gebaut worden sind, um die vorprogrammierten Urteile als Vernichtungshaft vollstrecken zu können. Ein politischer Prozeß, der nach der Konstruktion der Anklage und nach überkommenen rechtsstaatlichen Regeln allein ein fairer Prozeß sein könnte, kann in der Bundesrepublik nicht mehr stattfinden. (...) Um einen Prozeß zu verhindern, in dem ihre illegalen Praktiken aufgedeckt werden könnten, versuchen die Staatsschutzbehörden seit drei Jahren, die Verteidiger zu diffamieren und zu disziplinieren, zu kriminalisieren und auszuschalten. Diesem Zweck dient die maßlose Hetzkampagne gegen die Verteidiger und die Veröffentlichung eines Teils der Prozeßakten durch eine sogenannte Dokumentation des Bundesinnenministers: ein ungeheuerlicher Eingriff in ein schwebendes Verfahren, der unter bewußter Mißachtung der Strafbestimmungen der Pressegesetze erfolgt ist. Nach der Lex RAF darf ein Rechtsanwalt in einem Verfahren nur noch einen Beschuldigten verteidigen. Damit ist eine kollektive Verteidigung, die bisher in den Prozessen gegen die RAF und in anderen politischen Prozessen zugelassen war, auch dann ausgeschlossen, wenn die Anklage wegen Zugehörigkeit zu einem Kollektiv erhoben wird. Das Recht der Verteidiger und der Angeklagten, Erklärungen politischen Inhalts in jeder Phase des Prozesses abzugeben, ist beseitigt worden. Die Hauptverhandlung kann auch gegen verhandlungsunfähige Angeklagte stattfinden. Ein Verteidiger kann von der Verteidigung schon vor seiner rechtskräftigen Verurteilung ausgeschlossen werden, wenn er - wie es in dem Sondergesetz heißt - dringend verdächtig ist, an der Tat beteiligt zu sein, die Gegenstand der Untersuchung bildet. Bei bestimmten politischen Straftaten wie Gefährdung der äußeren Sicherheit und Landesverrat können Verteidiger wegen des Verdachts der Gefährdung der Staatssicherheit ausgeschlossen werden (...)

Gericht, Bundesanwaltschaft und die bestellten Zwangsverteidiger, die Verteidiger des Vertrauens des Gerichts, sind unter sich: eine makabre Konstruktion, die nur in offen faschistischen Staaten und Militärdiktaturen vorstellbar ist. Der Verteidigerausschluß beseitigt gleichzeitig die einzig mögliche Kontrolle der Haftbedingungen und damit den letzten Schutz durch die kritische ÖffentIichkeit. Durch den Ausschluß der Verteidiger wird deshalb das letzte Hindernis im Vollzug der Vernichtungsstrategie gegen die Gefangenen aus der RAF beseitigt.