Der steinige Weg
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Der Krieg im südlichen Sudan gehört zu den langwierigsten und grausamsten Konflikten auf dem afrikanischen Kontinent. Die neueste Friedensinitiative droht abermals zu scheitern - auch an der Konkurrenz um die Ölvorkommen.
Von GÉRARD PRUNIER - Forscher am Centre national de la recherche scientifique (CNRS) und Direktor des Centre français détudes éthiopiennes in Addis Abeba.
Am 14. Oktober 2002 haben das Regime in Khartoum und die Guerillabewegung Sudanesische Volksbefreiungsarmee (SPLA) wieder einmal einen Anlauf zu Friedensverhandlungen genommen. Vieles spricht dafür, dass es sich nur um ein weiteres Kapitel in der endlosen Geschichte gescheiterter Versuche handelt, den seit 19 Jahren andauernden Bürgerkrieg zwischen dem muslimischem Norden und dem christlich-animistischen Süden des Sudan zu beenden.
SPLA - Kämpfer im Süden
Bis zu zwei Millionen Opfer hat dieser Krieg wahrscheinlich bis heute schon
gefordert. Die Gegner sind erschöpft, und die USA und die EU üben
in jüngster Zeit starken Druck auf beide Konfliktparteien aus. Es geht
schließlich um die seit 1999 erschlossenen Ölvorkommen. Doch ein
Friedensschluss ist damit noch keineswegs gesichert. Die Regierung mag ihre
Taktik geändert haben, ihre strategischen Ziele hat sie nicht aufgegeben.
Und die Rebellen spielen auf Zeit, sie hoffen auf neue Allianzen, die sich aus
einem Krieg der USA gegen den Irak ergeben könnten. Ein innersudanesisches
Abkommen wäre in der Region ohnehin nicht viel wert, solange nicht der
Streit um Eritrea beigelegt ist.
Bislang scheinen die Positionen unvereinbar. Der eine Streitpunkt betrifft die
Scharia, das islamische Recht, das für das seit 1989 in Khartoum regierende
Regime ein unverzichtbarer Bestandteil seines ideologischen Programms ist. Nach
den Vorstellungen der SPLA müsste die Hauptstadt eines sudanesischen Bundesstaates
unbedingt einen „neutralen“ Status erhalten. Aber für die herrschenden
Islamisten bleibt Khartoum die „Hauptstadt des Nordens“ - und damit
muslimisch.
Zweiter Streitpunkt: Der SPLA-Chef Oberst John Garang forderte zunächst,
dass er Staatspräsident Omar al-Baschir nach einem festen Zeitplan im Amt
ablösen könne. Damit stieß er aber auf erbitterten Widerstand
bei den Vertretern des Nordens. Daraus, dass Garang der Posten des Vizepräsidenten
zugesichert wurde, leitete er ein Vetorecht bei den Entscheidungen des Präsidenten
ab, und zusätzlich fordert er die alleinige Kompetenz in allen Fragen,
die den Süden betreffen.(1)
Dritter Konflikt: Khartoum möchte sich das Recht vorbehalten, die Gouverneure
der Südprovinzen zu ernennen - die SPLA fordert dagegen Wahlen zu den Provinzregierungen.
Und viertens beansprucht die SPLA die Hälfte aller Führungspositionen,
von den Ministern bis zu den Verwaltungsbeamten, in den Ressorts Verteidigung,
Finanzen, Energie, Innen- und Außenpolitik. Bisher kamen Sudanesen aus
dem Süden allenfalls in den Ressorts Jugend und Sport, Tierschutz oder
auch Bewässerung zum Zuge. Und schließlich bestehen auch noch ernste
Meinungsverschiedenheiten über den verfassungsmäßigen Status
der Nuba-Berge, der Provinz Blauer Nil und der Region Abyei in Süd-Kordofan.
Im Friedensvertrag von 1972, der den ersten sudanesischen Bürgerkrieg (1955-1972)
beendete, waren diese drei Gebiete mit schwarzafrikanischer, überwiegend
christlicher Bevölkerung dem Norden zugeschlagen worden. Die SPLA fordert
nun, dass ein neues Abkommen die Regionen als genuine Bestandteile des Südens
anerkennt - was von den Bewohnern unterstützt, von Khartoum jedoch zurückgewiesen
wird.
Zu diesen politischen Differenzen kommt ein gewichtiges ökonomisches Thema: die Verteilung der Rohstoffvorkommen, vor allem des Erdöls. Mit den großen Förderländern wie Saudi-Arabien und Irak wird sich der Sudan nie messen können. Das Volumen der bislang erschlossenen Lagerstätten beträgt nur 1,5 Milliarden Barrel, die Reserven könnten sich aber auf drei bis vier Milliarden erhöhen, wenn die Ölförderung auch in den Bürgerkriegsgebieten ungehindert möglich wäre. Genau genommen waren es diese 1980 vom US-Konzern Chevron entdeckten Ölvorkommen - und nicht der Streit um die Scharia - die zum Ausbruch des Krieges im Mai 1983 führten.(2)
aufgegebener Förderturm eines schwedischen Erdölkonzerns
Als dem damaligen Staatschef Dschaafer Mohammed al-Numeiri aufging, dass sich
sämtliche Ölfelder im Süden befanden - in der Region also, die
seit dem Friedensvertrag von 1972 einen halbautonomen Status und eine eigene
Regierung in Juba hatte -, beschloss er, das Abkommen einseitig aufzukündigen.
Er schuf die neue „Provinz der Einheit“. Der Süden war damit
plötzlich aller Rechte an den Rohstoffvorkommen beraubt und reagierte mit
erneuter Rebellion. Danach dauerte es 19 Jahre, bis eine Pipeline zum Roten
Meer gebaut werden konnte: 1999 schloss der Sudan einen Vertrag mit dem staatlichen
chinesischen Ölkonzern CNPC, der malaysischen Petronas und der kanadischen
Firma Talisman zur Finanzierung des Projekts. Davor hatte keine sudanesische
Regierung die Kosten von einer Milliarde Dollar aufbringen können.
Die Chinesen schickten kostenlose Arbeitskräfte (Sträflinge, die durch
den Arbeitseinsatz im Sudan ihre Haftdauer verkürzen konnten) und scherten
sich bei den Bauarbeiten weder um Sicherheitsbestimmungen noch um die Menschenrechte.
Kanada steuerte das technische Know-how bei und verlieh dem Vorhaben einen seriösen
Anstrich.(3) Internationale Kreditgeber fanden diese Kombination interessant
genug, um die nötigen Geldmittel bereitzustellen. Die Planung und Verlegung
der Pipeline wurde dann in kurzer Zeit von deutschen und britischen Firmen übernommen.
Unter der Verwaltung des Konsortiums Greater Nile Petroleum Corporation (GNPC)
konnte das sudanesische Öl nun zum Roten Meer gepumpt werden.(4 )Bei einer
Fördermenge von 250 000 Barrel pro Tag bedeutete das, nach Abzug der
Kosten und des Schuldendienstes, einen jährlichen Nettoertrag von um die
500 Millionen Dollar. Ein beträchtlicher Teil dieser Einkünfte wurde
für Waffenlieferungen aus China ausgegeben.
Bei den Friedensverhandlungen im kenianischen Machakos musste das Feilschen
um die Ölprofite allerdings zurückgestellt werden: Es ging zunächst
um die Verteilung der politischen Posten. In Khartoum war man sich nicht einig
über die Strategie. Die „Tauben“ um den Minister für Frieden,
Gasi Salah ad-Din Attabani, und Außenminister Mustafa Osman Ismail befürworteten
einen Friedensschluss vor allem mit wirtschaftlichen Argumenten: Zwar würde
die Regierung einen Teil der Öleinkünfte an eine teilautonome Verwaltung
im Süden abtreten müssen, andererseits könnte sie die Militärausgaben
erheblich reduzieren, und der französische Ölkonzern TotalfinaElf
könnte endlich von seinen Schürfrechten in den südlichen Regionen
Bor und Pibor Gebrauch machen. Außerdem wäre damit zu rechnen, dass
unter Friedensbedingungen weitere westliche Firmen in das Geschäft einsteigen
und dank moderner Verfahren diese Lagerstätten effektiver ausbeuten könnten.(5)
Eine andere Fraktion in der sudanesischen Führung hält solche Kalküle
allerdings für abwegig, weil das Regime bei diesem Geschäft einige
seiner islamischen Grundsätze aufgeben müsste. Die Hardliner um Vizepräsident
Ali Osman Mohamed Taha verweisen darauf, dass nach China und Indien nun auch
der algerische Ölkonzern Sonatrach und eine Reihe russischer Firmen Interesse
an Förderlizenzen gezeigt haben. Damit sei der Ölboom langfristig
abgesichert, man müsse also auf die USA und die EU keine Rücksichten
nehmen. Bei solchen Aussichten sieht diese Fraktion keinen Anlass, die Ideologie
aufzugeben, in deren Namen die Islamische Nationale Front 1989 die Macht ergriffen
hatte. Sie steht denn auch hinter den provokativen Militäraktionen, die
im September zur Unterbrechung der Verhandlungen in Machakos geführt haben.
Dennoch einigten sich am 17. Oktober die Machthaber und die Guerilla für
die Dauer der Gespräche auf eine Waffenruhe.
Anfang Oktober begannen „aufständische Kräfte“, über
deren genaue Zusammensetzung nichts bekannt ist, von Eritrea aus eine neue Offensive
im Süden und eroberten die Stadt Hamischkoreb. Beteiligt waren allerdings
auch arabische Kämpfer der Sudan Alliance Forces (SAF), einer militanten
linken Gruppierung, die dem Einfluss der Nationalen Demokratischen Allianz (AND),
dem Sammelbecken der zivilen arabischen Opposition, weitgehend entzogen ist.
Angeblich wurden die Reihen der SAF auch durch SPLA-Verbände verstärkt
sowie, zu Beginn der Kämpfe, durch reguläre eritreische Truppen.
Seit seiner Niederlage im Krieg gegen Äthiopien, im April 2000, steht Eritrea
am Rande des Staatsbankrotts. Innenpolitisch praktiziert das Regime eine gnadenlose
politische Verfolgung, die sich vor allem gegen die Eritreische Volksbefreiungsfront
(EPLF) richtet - fast alle prominenten Führer dieser einstigen Guerillabewegung
sind wegen „Landesverrats“ verhaftet worden.(6)
Die extreme Militarisierung der Gesellschaft hat überdies bewirkt, das
viele junge Männer der Landwirtschaft den Rücken kehrten. Nach anhaltenden
Dürreperioden kann dieser Sektor die Bevölkerung ohnehin nicht mehr
ernähren. Es wird geschätzt, dass die eritreische Landwirtschaft in
diesem Jahr kaum 40 Prozent des Lebensmittelbedarfs decken kann.
In Asmara beschloss man, die Flucht nach vorn anzutreten - nicht ohne die Hoffnung,
im Kampf gegen den Sudan von den USA unterstützt zu werden. Aber US-Präsident
George W. Bush ist offenbar außer Stande, deutliche politische Ziele zu
formulieren. Einerseits unterzeichnete er Anfang Oktober den Sudan Peace Act,
ein Gesetz, das dem Sudan Wirtschaftssanktionen androht. Die geplanten Maßnahmen
wirken zwar nicht allzu bedrohlich, aber eine Bestimmung könnte sich doch
als explosiv erweisen: Falls das Regime in Khartoum nicht innerhalb von sechs
Monaten einem Friedensvertrag zustimmt, wollen die USA ihre Hilfszahlungen für
die von der SPLA kontrollierten Gebiete von 100 auf 400 Millionen Dollar aufstocken.
Selbst wenn die Formulierungen sehr vage gehalten sind, könnte ein erheblicher
Teil dieser Gelder der Guerillabewegung zufließen. Das wäre etwas
Neues, denn trotz zahlreicher und oft scharfer Erklärungen zum Sudankonflikt
hat Washington die SPLA bislang nie direkt unterstützt.
Das US-Außenministerium versuchte die Wogen zu glätten, indem es
sich von den beunruhigenden Alleingängen Eritreas distanzierte. Aber im
Pentagon hat man einen deutlich antisudanesischen Kurs eingeschlagen und ist
offenbar auch bereit, gemeinsame Sache mit Asmara zu machen. Angeblich haben
US-Streitkräfte, in Abstimmung mit dem israelischen Militär, bereits
einen früheren sowjetischen Stützpunkt auf der Insel Dahlak übernommen.
Daraufhin begann Äthiopien, das offiziell immerhin mit den USA verbündet
ist, ein neu gebildetes eritreisches Oppositionsbündnis zu unterstützen
und Kontakte zu Sudan und Jemen zu knüpfen, um das Regime in Asmara in
die Schranken zu weisen - oder vielleicht gar zu stürzen.
Vor diesem Hintergrund erscheinen die Friedensgespräche in Machakos relativ
nebensächlich. Hinzu kommt, dass in Kenia im Dezember die Wahl eines neuen
Präsidenten ansteht. General Sumbweiyo, der die Verhandlungen in Machakos
leitet, ist Generalstabschef der kenianischen Streitkräfte und wird dann
wohl keine Zeit für die Probleme des Sudan haben. Im Januar sollen die
Mitte November abgebrochenen Gespräche wieder aufgenommen werden. Bis dahin
kann noch viel geschehen.
Fußnoten:
(1) Es gab im Sudan bereits eine Reihe von Vizepräsidenten schwarzafrikanischer
Herkunft. Die Macht blieb allerdings stets in Händen eines arabischen Präsidenten.
(2) Der Aufstand im Süden begann im Mai 1983, erst im September 1983
wurde die Scharia ei ngeführt. Dem damaligen Militärherrscher Numeiri
diente der Islam als ideologische Stütze - das islamische Sittengesetz
war also eine Folge des Krieges, nicht seine Ursache.
(3) Kanadische Menschenrechtsorganisationen haben die Firma Talisman allerdings
so sehr unter Druck gesetzt, dass sie 2002 aus dem Projekt ausstieg und ihre
Anteile am sudanesischen Konsortium GNPC an den indischen Staatskonzern ONGC
Videsh verkaufte.
(4) 40 Prozent hielt die chinesische CNPC, 30 Prozent die malaysische Petronas,
25 Prozent die kanadische Talisman und 5 Prozent die staatliche sudanesische
Sudapet.
(5) Derzeit bleiben mindestens 40 Prozent des Rohöls ungefördert,
weil die ver9,2
(6) Inzwischen ist die EPLF in der Volksfront für Demokratie und Gerechtigkeit
(PFDJ) aufgegangen.
dt. Edgar Peinelt
Geklaut aus der „Le Monde diplomatique“ vom 13.12.2002