Zwischen Mühlsteinen Saddam Hussein, das Öl und die künftigen
Mandatsgebiete:
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Nichts gegen Hans Blix, aber zögen die USA ihre Flugzeugträger und
Soldaten unverrichteter Dinge ab, würden die Mäuse auf den Tischen
tanzen: Araber im Siegestaumel, Saddam Hussein schießt Salven in die Luft,
Militärparaden in Pjöngjang, Frankreich, Russland und China teilen
die Ölfelder unter sich auf, Gerhard Schröder und Jacques Chirac streiten
um die Kaiserkrone, Osteuropa ist deprimiert, George W. Bush tritt ab, und Slobodan
Milosevic kommt frei, weil er gegen Saddam ein Waisenknabe ist. Die USA verlören
»jegliche Glaubwürdigkeit«, sagt Richard Perle, ein einflussreicher
Berater des US-Kriegsministers. Der Aufmarsch am Golf ist eine bewusst herbeigeführte
Lage, deren geplante Konsequenzen der Sturz Saddams und das Einrücken der
Truppen in das Land sind.
Das Ziel ist die Invasion und nicht der Krieg, wie es die Parole »Blut
für Öl« unterstellt. Präsident Bush würde es begrüßen,
wenn Saddam und »seine Spießgesellen« das Land verließen.
Donald Rumsfeld fand den Vorschlag, Saddam ins Exil zu schicken, »sehr
vernünftig«. Dennoch dürfte die Option Exil illusorisch sein.
Saddam weiß, was der CIA-Mann Kenneth Pollak sagt: »Verliert er
die Macht, ist er ein toter Mann«, weil die mit Ussama bin Laden erlittene
Schmach sich beim nächsten Auserwählten nicht wiederholen soll. Deshalb
wird er wohl leider nicht freiwillig gehen. Wegen der Opfer würde man wünschen,
dass die Invasoren sich ohne Krieg ausbreiten könnten.
Die Vereinigten Staaten sind oft ohne Krieg an die Beute gekommen. 1941 erklärten
sie die Öl am Golf suchenden Vichy-Franzosen zu unerwünschten Ausländern
und warfen sie hinaus. Ganz unblutig. 1933 verscherbelte Ibn Saud die saudischen
Schürfrechte für 50 000 Goldpfund an die Standard Oil of California.
Friedlich. Seitdem haben US-Konzerne Saudi-Arabien nicht mehr hergegeben. Während
des Afghanistankrieges hießen die Diktatoren am Kaspischen Meer die USA
willkommen. Sie wollten endlich mehr Geld sehen. Denn Russland hatte unterhalb
des Weltmarktpreises bezahlt und war bei ihnen verschuldet. Was sich durch die
ökonomische und militärische Machtfülle in Ordnung bringen lässt,
wird ohne Krieg geregelt.
Es zählt zu den Ungerechtigkeiten dieser Welt, den Sündenfall mit
George W. Bush zu identifizieren. Was soll ein Jimmy Carter denken, der schon
1980 seine »Carter-Doktrin« austüftelte: »Jeder Versuch
einer fremden Macht, die Kontrolle über die Region am Persischen Golf zu
erlangen, wird als Angriff auf die lebenswichtigen Interessen der Vereinigten
Staaten angesehen. Jeglicher Angriff wird mit allen Mitteln zurückgeschlagen
werden, auch mit militärischen.« Der Mann bekam den Friedensnobelpreis.
Die Gründe für den Aufmarsch geben kaum Rätsel auf. Dafür
sorgt schon die US-amerikanische Propaganda, die sich von der deutschen durch
ihre Nähe zum Realismus unterscheidet. Das hat zu tun mit dem Selbstbewusstsein
der Weltmacht und einem ausgeprägten Pragmatismus der Bevölkerung.
Unvergessen sind die Worte, die Bush senior im letzten Golfkrieg an die Amerikaner
richtete: »Unsere Wirtschaft, unsere Lebensart, das alles würde leiden,
wenn die Kontrolle über die großen Ölreserven der Welt in die
Hände Saddam Husseins fiele. Es geht um euren Benzinpreis!« Das hatte
Hand und Fuß.
Man mag die übertriebene Personalisierung bemängeln. Immer der einsame
Bösewicht. Man mag auch das Pathos in der jüngsten Kongressrede Bushs
bemängeln: »Amerika ist Gottes Geschenk an die Menschheit«
– die Vergötzung der eigenen Macht. Aber eines stimmt, Gott lässt
nicht mit sich diskutieren. Vor seinem Willen findet nur Gnade, wer sich ihm
unterwirft. Und Fahndungsergebnisse der Uno-Inspektoren sind Gott auch völlig
egal. Die Rede wurde 50 Mal mit Beifall und 20 Mal mit Standing Ovations gewürdigt.
Das gab es seit Stalin nicht mehr.
Meistens sprechen die US-Amerikaner deutliche Worte, die für Europäer
gewöhnungsbedürftig sind. Welcher deutsche Politiker würde wie
Henry Kissinger über einen Parteifreund sagen: »Rumsfeld ist rücksichtsloser
als alle Despoten, die ich kenne«? Die beiden verstehen sich trotzdem
gut, weil sie nichts gegen Despoten haben, sondern finden, dass feudale Regime
zur Abschöpfung der Grundrente passen. Vor allem dann, wenn an den Bohrlöchern
die Arbeitskräfte aus Ägypten, Pakistan und den Philippinen aus religiöser
und antiisraelischer Verblendung an die Seite ihrer Herrscher rücken, statt
sie zu stürzen, um sich von einer realen Last zu befreien. Die beiden mögen
auch die Diktatur in China, weil sie den Weltmarkt und die Mehrwertmasse, die
man sich dann aneignen kann, rapide vergrößert.
Saddam ist nicht nur fällig wegen Öl, sondern auch deshalb, weil »er
nicht kooperiert«, wie es Außenminister Colin Powell ausdrückt.
Die »Völkergemeinschaft« wird vehement eingestimmt auf kooperierende
und nicht kooperierende Diktaturen. Die einen sind gut, die anderen böse.
Milosevic musste weg. Pakistans Pervez Musharraf bildete zwar die Taliban aus
und drohte seinem Nachbarn mit einem Atomschlag. Aber er fügte sich.
Überhaupt sei »die Staatsform Demokratie einer imperialen Mobilmachung
abträglich«, schreibt Zbigniew Brzezinski, der früher Carter
und Madeleine Albright beriet und heute drei Ölkonzerne berät. Saddam
selbst zählte zu den verlässlichen Tyrannen. Er wurde aufgerüstet,
weil sein Krieg gegen den Iran das Gleichgewicht im Nahen Osten wieder herstellen
sollte. Man ließ ihn 1991 im Amt, weil man von ihm – nachdem man
ihm die Großmachtgelüste ausgetrieben hatte – mehr Stabilität
erwartete als von der nicht geregelten Erbfolge. Außerdem half seine Anwesenheit
bei der Einrichtung von Stützpunkten in Nachbarstaaten.
Nein, humanistische oder demokratische Werte scheiden als Kriegsgründe
aus. Nur »ein relativ kleiner Truppeneinsatz hätte genügt, um
dem Morden in Ruanda ein Ende zu bereiten«, schreibt Kissinger. Aber das
dort liegende Coltan war die Rettung von einer Million Menschen nicht wert.
Saddam ist ein Tyrann, aber eine Rangliste des Bösen sollte man unterlassen.
Der Verweis auf Massenmorde und Hinrichtungen in Indonesien oder Angola würde
nur zur unangebrachten Entlastung des Despoten führen.
In der Propaganda gilt der Grundsatz: Der Nächste ist der Böseste.
Als Milosevic und die Taliban dran waren, war Saddam verschwunden. Wer fragt
heute nach den Frauen in Afghanistan, nach der Demokratie im »befreiten«
Kuwait? Die Kriegsbefürworter, auch die linken, ziehen nur mit der Kriegskarawane
zur nächsten Zielscheibe. Thomas Uwer und Thomas von der Osten-Sacken berichteten
jüngst in konkret, dass nicht nur im Irak, sondern in den meisten arabischen
Staaten gehungert und in allen gefoltert werde. Wissen sie schon mehr? Geht’s
bald gegen Saudi-Arabien? Etwas Geduld müssen die linken Spürpanzer
wohl aufbringen, denn, wie sagt Powell? »Es kommt eines nach dem anderen.«
Zu den aufklärerischen Elementen amerikanischer Propaganda gehört
es, den jeweils Nächsten bekannt zu machen. Im Krieg gegen Jugoslawien
sagte Bill Clinton: »Ein Großteil der früheren Sowjetunion
steht vor ähnlichen Herausforderungen, darunter (…) die neuen Nationen
Zentralasiens.« Die USA hatten die südliche Erbmasse der Sowjetunion
zu ihrer Interessensphäre erklärt, die später von den Taliban
destabilisiert wurde. Im Afghanistan-krieg meldete das Kriegsministerium die
Verstärkung von Bodentruppen in den Ländern Zentralasiens. Die al-Qaida
hatte aber das Nervenzentrum Saudi-Arabien schon verseucht.
Schon vor dem 11. September erklärte Brzezinski, dadurch werde »Amerikas
Status als Weltmacht bedroht«. Kaum hatten die vom Lerneifer angetriebenen
deutschen, türkischen und niederländischen Soldaten die Nachtwache
in Kabul übernommen, wurde aus der Achse des Bösen der Irak herausgefiltert.
Aber der Nächste ist schon im Visier. Bush warf der Führung des Iran
vor, sie strebe den Besitz von Massenvernichtungswaffen an und unterstütze
den Terrorismus. Zwei handfeste Kriegsgründe. Nur messerscharfen Analytikern
fällt auf, dass die unvergleichlich größeren Gemetzel in Afrika
in der Propaganda nicht vorkommen.
Things which make
the world go around
Bush knüpft an eine alte Tradition an, wenn er sagt: Einem »Diktator
mit großem potenziellen Reichtum wird es nicht erlaubt werden, eine lebenswichtige
Region zu beherrschen«. Die USA wollten »Iraks Erdölfelder
beschützen und sicherstellen«, erklärte Powell im Januar. Deshalb
werde die Invasionstruppe »den Irak entwaffnen und einen Regimewechsel
herbeiführen«. Und sein Präsident ergänzte, man werde »daran
festhalten, den Irak zu entwaffnen«, selbst wenn Saddam ins Exil ginge.
Die Wortwahl ist zu beachten: Entwaffnet werden sollen nicht Saddam oder das
Baath-Regime, sondern der Irak.
Der Irak wird so oder so besetzt, um dort eine US-amerikanische Mandatsherrschaft
einzurichten, der weitere Aufgaben zukommen werden. Auch der Jihad soll eingedämmt
werden, der für die USA am Golf etwas anderes ist als in der chinesischen
Provinz Xinjiang oder in Côte d’Ivoire. Der Unterschied liegt darin,
dass nur fünf Staaten der Welt – die USA, Japan, Deutschland, Frankreich
und Großbritannien – mehr als die Hälfte des geförderten
Öls verbrauchen. Der Ölverbrauch wächst, und die Mengen am Golf
reichen ohne neue Funde für 100 Jahre, die US-amerikanischen und europäischen
Reserven aber nur für zehn bis 15. Das macht die Kontrolle der Golfregion
zur Waffe für den Hegemon, mit der er die Konkurrenten schwächen und
abhängig machen kann.
An diesem wichtigen Punkt will man die Propaganda verändern. »Das
amerikanische Volk sieht nicht gern seine Jungs dafür sterben, dass die
Gallone Benzin nur 1,50 Dollar kostet«, erklärt Powell. Das ist neu.
Michael Klare, Professor am Hampshire College, sagt, die Regierung wolle verhindern,
dass das Öl zu einem Teil der Kriegsdebatte wird. Würde sie sagen,
»dass hier Öl gesichert und die Opec entmachtet werden soll, würde
dies zu eigennützig erscheinen«. Aber weil das boshafte Kichern von
J.R. Ewing nicht verstummen will, müssen Fachleute ständig vorrechnen,
dass Öl ein Minusgeschäft sei. Daher verdient das Ölargument
eine genauere Betrachtung.
Allen Substituierungsbemühungen zum Trotz steigt der Erdölverbrauch,
besonders in den USA und in China. Die heute bekannten und rentabel abbaubaren
Reserven reichen für über 40 Jahre. Das heißt nicht, dass dann
die Ölquellen versiegten. Denn falls, wie bisher, mehr neues Öl gefunden
als verbraucht wird, gäbe es noch in 100 Jahren dieselbe Versorgungssicherheit.
Die Fachwelt vermutet große Schätze am Golf und im Kaspischen Meer,
und im Irak wurde seit 1985 nicht mehr nach Öl gesucht. Jährlich werden
weltweit 3,5 Milliarden Tonnen verbraucht, 150 Milliarden Tonnen Rohöl
sind nachgewiesen. Davon liegen 93 Milliarden Tonnen am Golf und das meiste
wiederum in Saudi-Arabien.
Die Zukunftssicherung des Kapitalismus hängt weiter am Öl, und das
ist ungleich verteilt. Setzt man die saudischen Reserven gleich 100, entfallen
auf den Irak 43, auf Kuwait und die Vereinigten Arabischen Emirate jeweils 38,
auf den Iran 34, auf Venezuela 30, auf Russland 19, auf die USA elf, auf Mexiko
zehn und auf China neun. Die Nordsee käme auf vier und Japan auf gar nichts.
Daran zeigt sich die strategische Bedeutung des Golfs für die kapitalistischen
Zentren.
Im Mineralölverbrauch lagen die USA im Jahr 2001 bei knapp 900 Millionen
Tonnen, Japan bei 250, China bei 224 und Deutschland bei 131. Beim Rohölimport
liegen die USA mit 470 Millionen Tonnen einsam vorn. Deutschland kauft 105 Millionen
Tonnen ein, und das recht unabhängig vom Golf. Zwei Drittel des deutschen
Rohöls stammen aus Russland, Norwegen und Großbritannien. Danach
folgen Libyen und neuerdings Syrien mit jeweils zehn Prozent. Keiner sagt es,
aber alle wissen es: Das Öl aus Syrien ist billiges Öl von Saddam.
Dann folgt das Kaspische Meer mit sechs Prozent. Und insgesamt 77 Prozent des
deutschen Erdgasimportes kommen aus Russland, Norwegen und den Niederlanden.
Bei der Importabhängigkeit liegen Japan und Südkorea zwischen den
USA und Deutschland. Als einzige Industrieländer haben Großbritannien
und Norwegen eine autarke Ölversorgung.
Der US-Vizepräsident Dick Cheney erklärte jüngst, der Anteil
der Rohölimporte am Bedarf der USA werde bis 2020 auf 70 Prozent steigen.
Die USA müssten daher alle erreichbaren Ölquellen sichern, um die
Versorgung durch Diversifizierungen krisenfest zu machen. Genauso wichtig ist
die Regulierung des Ölpreises. Angeblich bestimmen ihn die Opec-Staaten
durch die angebotenen Mengen. Tatsächlich regelten die USA den Preis zusammen
mit ihrem befreundeten saudischen König, der die Rolle des »Swing
Producers« übernahm. Durch Mengensteigerung oder -verknappung sorgte
das Königshaus dafür, dass der Ölpreis im Rahmen von 22 bis 28
Dollar pro Barrel (159 Liter) blieb. Ausgenommen sind die Krisenzeiten.
Da Saudi-Arabien heute als politisch gefährdet gilt, diskutierte die US-Administration
nach Angaben der Süddeutschen Zeitung zwei Optionen: »die Besetzung
der saudischen Ölfelder« oder »die Herrschaft über das
irakische Öl«. Der Irak lässt sich weniger riskant besetzen,
und durch die Kontrolle über die zweitgrößten Reserven der Erde
könnten die USA die Bedeutung Saudi-Arabiens stutzen, die Opec praktisch
erledigen und die Rolle des alleinigen Preisregulators übernehmen. Hinzu
kommt, dass die USA über ihre Stützpunkte auch die Fördermengen
in Kuwait oder Katar kontrollieren können. Der wegen seiner Katastrophenszenarien
berühmte US-Ökonom William Nordhaus prognostiziert in der Zeit, das
Unternehmen Golf werde den USA hohe Verluste bringen, »es sei denn, der
Krieg führt zum Auseinanderbrechen des Opec-Ölkartells«. Doch
neben anderem geht es den USA genau darum.
Die Profiterwartungen sollte man den USA überlassen. Die vielen Horrorszenarien
über mögliche Kriegs- und Kriegsfolgekosten sind schon deshalb müßig,
weil in ihnen die Einnahmen fehlen. Die USA importieren beim heutigen Preis,
30 Dollar pro Barrel, jährlich Öl für 100 Milliarden Dollar.
Bei 15 Dollar, ob Weltmarktpreis oder Sonderpreis für die USA, hätten
sie in zehn Jahren 500 Milliarden Dollar eingespart. Es ist wahrscheinlich,
dass die USA nach der Besetzung des Irak den Weltmarktpreis, den die Konkurrenten
zahlen müssen, nicht kaputt machen werden. Eher dürften sie für
sich einen Sonderpreis durchsetzen, vielleicht sogar selbst als Exporteur verdienen.
Im letzten Golfkrieg zahlten sie für saudisches Öl nur den halben
Weltmarktpreis, sozusagen als Schutzgeld.
Die Welt:
Ein Golfplatz
Im Irak spiegelt sich die Weltkonkurrenz. US-amerikanische und britische Firmen
sind durch den Boykott dort verschwunden. Russland und Frankreich sind die wichtigsten
Handelspartner des Irak. Sie haben Vorverträge für die Nutzung der
Ölfelder unterzeichnet und haben hohe Forderungen an Saddam, auch aus früheren
Waffenlieferungen. Der französische Konzern Total-Fina-Elf besitzt die
Schürfrechte für Madschnun und Nahr Umar, Alcatel baut das Telefonnetz
und Peugeot liefert Nutzfahrzeuge. Russlands Sarubeschneft arbeitet mit russischer
Belegschaft auf den Kirkuk-Feldern, und die ebenfalls russische Lukoil hat Rechte
an West-Qurna. Chinas nationale Ölgesellschaft besitzt Rechte für
Rumailah im Süden. Auch der malaysische Konzern Petronas und japanische
Ölfirmen tummeln sich im Lande. Alle zusammen haben Vorverträge für
19 Ölfelder im Wert von 38 Milliarden Dollar unterzeichnet.
Die irakische Exil-Regierung hat erklärt, sie wolle alle Verträge
einer Überprüfung unterziehen und das Land für US-amerikanische
und britische Unternehmen öffnen. Die USA werden entscheiden, welche Bündnisse
sie wollen und wer rausfliegt. Die heute legalisierte Tagesproduktion von 2,1
Millionen Barrel – die mit dem Schwarzhandel auf drei Millionen Barrel
kommt – ließe sich auf 4,7 und, nach Modernisierungen, auf sechs
Millionen steigern. Der Irak würde dann fast an die saudische Ölproduktion
heranreichen, die bei 7,5 Millionen Barrel liegt. Der Preis würde sinken
und die Weltkonjunktur würde angekurbelt, zu Lasten der Förderstaaten.
Auch Russland wäre am Ende, weil der russische Staatshaushalt mit den Öl-
und Gasexporten steht und fällt. Die Besatzer würden sich Aufträge
für die Instandsetzung des Landes geben. Dazu kämen noch Einnahmen
aus Reparationszahlungen.
Die Erwartungen verändern bereits die weltpolitische Lage. Man mag dem
russischen Präsidenten Wladimir Putin abnehmen, dass ihm die Achse Frankreich-Deutschland-Russland-China
am Herzen liegt, aber die USA lassen nicht mit sich spaßen. Putin muss
um ihre Gunst buhlen. Sie sollen ihm die Bohrlizenzen lassen und die Forderungen
an Saddam übernehmen. Außerdem bettelt Putin um einen akzeptablen
Ölpreis. Daraus ergeben sich strategische Vorteile, die in keinem Szenario
über die Kriegskosten vorkommen. Als erste Gegenleistung soll 2007 eine
gemeinsame Pipeline nach Murmansk fertig sein für die Belieferung der USA
mit russischem Öl durch die Barentsee. Deutschland hat fast keine Kriegskosten,
verliert aber möglicherweise seinen strategischen Partner.
Was wird aus dem deutsch-französischen Schwur, wenn Frankreichs Interessen
sich nur durch eine militärische Beteiligung sichern lassen? Chirac hat
die Mobilmachung »für neue Kriege, die leider drohen können«
beschlossen. Die Regierung in Paris will die endlose Inspektion, um die USA
da herauszuhalten. Aber ihre Streitkräfte sind auf den Ernstfall vorbereitet.
Bei aller Freundschaft zu Deutschland: »Jede Regierung reagiert, wie sie
es meint«, erklärt die französische Kriegsministerin Michèle
Alliot-Marie.
Selbst beim treuen Kriegspartner herrscht ein gesundes Misstrauen. Großbritannien
hatte nach dem letzten Golfkrieg beim Aufbauprogramm in Kuwait das Nachsehen.
Diesmal werden 35 000 Soldaten auf die Reise geschickt. Eine Armee, sagt Kriegsminister
Geoffrey Hoon, die »nicht im Schatten der US-Einheiten steht, sondern
deutlich sichtbar auftritt«. Wer will den Briten das verdenken? Deutschland
ist nicht gerade der Hauptlieferant des Irak, aber die Hoffnungen der 112 deutschen
Firmen, die auf Saddams letzter Industriemesse vertreten waren, dürften
enttäuscht werden. Selbst wenn die USA diesmal mehr Rücksicht auf
ihre Partner nehmen, wird Deutschland durchfallen. Nach dem US-amerikanischen
Sieg, heißt es in der New York Times, bekämen die Briten die französischen
Ölfelder, die Türkei einige Quellen im Norden und den Russen würden
ihre Forderungen an Saddam bezahlt. Der Ölpreis würde wieder sinken
und die Weltwirtschaft prosperieren. Das mag so kommen.
Viele Horrorszenarien hingegen gehen von einer Explosion des Ölpreises
aus. Als Saddams Truppen im Oktober 1990 in Kuwait eindrangen, kletterte er
auf 47 Dollar. Im Februar 1991, noch mitten im Krieg, war er wieder auf 25 Dollar
gesunken. Ferner werden endlose Aufstände der Araber imaginiert. Aber soll
die Weltmacht wegen reiner Spekulationen um die Gunst der arabischen Straße
buhlen? Das werden sie in bescheidenem Umfang tun, aber wer will den Vereinigten
Staaten im Falle ihres Rückzugs Stabilität im Nahen Osten garantieren?
Manchmal beschleicht einen das Gefühl, Kriegsgegner wie -befürworter
haben selbst Angst vor entfesselten Arabern, die sie pausenlos beschwören.
Keine Expansion und schon gar nicht die Besetzung eines Raumes ist frei von
Unsicherheiten. Die irakischen Kurdenführer Jalal Talabani und Massud Barzani
und die türkische Regierung unter einen Hut zu bringen, ist schon ein Kunststück.
Nicht immer wird alles bedacht, aber man muss den USA das nicht beibringen.
Die Eroberungen werden kaum von Turbulenzen und »Gewaltausbrüchen
verschont bleiben«, weiß Brzezinski. Manches wird also misslingen
beim Übergang zu einer »friedlichen Hegemonie, die andere davon abhält,
diese in Frage zu stellen, weil der Preis, den sie dafür bezahlen müssten,
zu hoch ist«.
Dafür bleiben die Flugzeugträger, die modernen Kanonenboote, in der
Nähe. Man wird nicht vom Gesamtplan abrücken. Kissinger schrieb vor
dem Anschlag auf die Twin Towers: Man werde verhindern, »dass die Golfregion
von Staaten dominiert wird, deren Ziele mit den unseren unvereinbar sind«.
Die Frage laute: »Wie erreicht man Stabilität am Golf ohne permanente
Stützpunkte?« Gar nicht. Deshalb müssen sich die »Monarchen
und Präsidenten am Golf fragen, ob sie nicht auch auf der Abschussliste
Washingtons stehen«, kommentiert die Neue Zürcher Zeitung.
Auch Syriens Präsident Baschar al-Assad wird vor der Frage stehen, ob er
sich wendet oder gestürzt wird. Über Syrien und Israel soll das Öl
das besser geschützte Mittelmeer erreichen. Der Iran wird heftig unter
Druck geraten und mit ihm die deutschen und französischen Geschäfte.
Das Ziel bleibt auch in Teheran ein Regimewechsel. Dem Jihad soll die staatliche
Unterstützung entzogen werden. Israel wird seine Bedeutung und damit die
Sicherheits garantie für die USA nicht einbüßen, solange der
Islam ein politischer Faktor bleibt. Andererseits erklärt Bush: »Wenn
das palästinensische Volk neue Führer, neue Institutionen und neue
Sicherheits vereinbarungen mit seinen Nachbarn hat, werden die USA die Schaffung
eines palästinensischen Staates unterstützen.«
Das kurze
amerikanische Jahrhundert
Das strategische Ziel ist die Schaffung des »amerikanischen Jahrhunderts«.
Die Vereinigten Staaten erfreuten sich »einer Stellung in der Welt«,
schreibt Kissinger, »mit der sich keines der Imperien der Vergangenheit
messen« könne. Die USA werde die Gelegenheit nutzen, ihre »Dominanz
gegenüber dem Rest der Welt« auszubauen. Bush übersetzte diese
Idee so: »Amerika wird die Vorherrschaft erringen, weil wir die beste
Armee haben.« Brzezinski rechnet damit, dass bis zum Jahr 2020 andere
Mächte – Europa, China und Japan – das US-Niveau erreichen
könnten und folgert: »Amerika als die führende Weltmacht hat
nur eine kurze historische Chance, mit den geopolitischen Herausforderungen
fertig zu werden.« Der akute Weltkonkurrent sei Europa, sollte ihm die
Kontinentalachse bis China gelingen. Deshalb müssten die USA darauf achten,
dass Europa nicht so »geschlossen« agiere, dass es »bald schon
die Vereinigten Staaten in für sie bedeutsamen geopolitischen Belangen
anderswo, insbesondere im Nahen Osten, herausfordern könnte«.
Das lässt sich wohl vermeiden, denn, so Kissinger, »wenn es am Golf
zum Äußersten kommt, werden die Europäer die ersten sein, die
um Zugang zu amerikanischen Energievorräten bitten, um eine Wirtschaftskatastrophe
zu vermeiden«. Das gilt noch mehr für Japan und China, das nach Angaben
der Zeitschrift Foreign Affairs in 20 Jahren 90 Prozent seiner Ölimporte
vom Golf beziehen müsse. Wenn alles klappt, könnte dem Konkurrenten
China das Los Japans blühen, das zwar »ein respektierter Wirtschaftsriese«
ist, aber strategisch nur »eine geopolitische Verlängerung amerikanischer
Macht«, meint Brzezinski. Deutschland sehe »im Engagement für
Europa die Grundlage« für seine »nationale Erlösung. Indem
es sich mit Europa entsühnt, stellt Deutschland seine Größe
wieder her«.
Im Moment gibt der Konkurrent kein gutes Bild ab. Halb Europa lehnt sich gegen
den deutsch-französischen Führungsanspruch auf. Viele Staaten wenden
sich den USA zu, weil sie von Washington einen besseren militärischen Schutz
erhoffen, aber auch, weil sie fürchten, von diesem Machtblock erdrückt
zu werden. »Wir haben das gleiche Recht, Europa zu repräsentieren,
wie Chirac und Schröder«, kommentiert die polnische Tageszeitung
Rzeczpospolita. Hat Deutschland sich von der Rolle des ehernen Schutzpatrons
zu früh und zu riskant verabschieden wollen? Die Wortgefechte sind keine
individuellen Entgleisungen. Sie spiegeln die neue Weltlage, die durch den Zerfall
der Allianzen in nationale Konkurrenzen gekennzeichnet ist.
Die Zentrifugalkräfte wurden zuerst in dem sowjetischen Herrschaftsblock
freigesetzt und griffen anschließend auf den Westen über. Durch den
Sieg über den gegnerischen Block verloren die Staaten des Westens ihre
gemeinsame Klammer und marschieren wie in früheren Zeiten aufeinander los.
Bücher wie »Empire«, die von einer Auflösung der Nationalstaaten
zu Gunsten einer globalen Ordnung sprechen, waren schon vor ihrem Erscheinen
historisch überholt.
Der Imperialismus der nationalstaatlichen Konkurrenzen wird heute wieder bis
zu großen Entscheidungsschlachten gedacht. Kissinger schrieb, dass »der
Wettstreit um den Zugang zum Öl und seine Routen« die westliche Allianz
wieder »in nationale politische Wege und Ziele verwandeln« könne.
Mit Blick auf China kündigt er an: »Wenn in Asien eine Hegemonie
droht – durch welches Regime auch immer – würde Amerika ebenso
einschreiten wie im Zweiten Weltkrieg gegen Japan.« Daher erklärt
der stellvertretende Kriegsminister Paul Wolfowitz: »Besser kleine Kriege
gleich führen als große später.«
Der europäische Machtblock existierte noch nie in der erträumten Geschlossenheit.
Jetzt ist sie in weite Ferne gerückt. Europas Wirtschaftskraft ist so groß
wie die der USA, und man hat es zu einem gemeinsamen Markt gebracht. Das Militärpotenzial
erreicht aber nur ein Drittel des US-amerikanischen. Der größte Nachteil
liegt darin, dass die USA ein Nationalstaat sind, während Europa ein Konglomerat
aus vielen nationalen Interessen ehemals mächtiger Imperien mit ihren Empfindlichkeiten
ist.
Deutsche
Traditionswaffen
Der deutschen Ideologie scheint es zurzeit besser zu gehen als der deutschen
Politik. Sie sortiert Kriege in solche, die den Menschenrechten dienen, und
solche, die für den Kommerz geführt werden. Ist Deutschland dabei,
geht’s um »humanitäre Ziele«. Ziehen die USA ohne Deutschland
in den Krieg, geht’s um den Mammon. Eine Typisierung des Konkurrenten
für strategische Handhabungen. Rumsfeld hat die öffentliche Intelligenz
herausgefordert, und sie schlug mit der Traditionswaffe zurück: »Angloamerika«
könne nur Kommerz, während Europa die Wiege der Kultur sei.
Das Feuilleton der FAZ erinnerte an die Worte von Paul Valéry aus dem
Jahre 1919: »Wird Europa ein kleines Vorgebirge des asiatischen Festlandes
werden? Oder aber wird Europa der kostbarste Teil unserer Erde, die Krone unseres
Planeten, das Gehirn eines umfänglichen Körpers?« Mindestens
das. Vielleicht steht sogar der »postheroische Kulturstil« gegen
den »Realinfantilismus« der USA (Peter Sloterdijk). Der europäische
Geist begegnet dem »realpolitischen Zynismus der Abgebrühten«
in Amerika (Jürgen Habermas). Ein Historiker wollte die Weltmacht Europa
mit »Frankreich, Deutschland und Polen«, die dazu berufen seien.
Europa, was ist aus dir geworden, dass Rumsfeld dich beleidigen darf? Er stellte
die Gelassenheit des Mächtigen zur Schau, die jene provoziert, die danach
dürsten. Im Größenwahn äußert sich die tief empfundene
Minderwertigkeit, die gequält nach Weltherrschaft schreit. Noch immer schafft
der Geist nicht Materie, sondern die Materie ihn. Ist es um Deutschlands reale
Macht nicht gut bestellt, eilt die Kultur den Waffen erobernd voraus. Die Grünen
sind wieder richtig frech und drucken T-Shirts mit der Aufschrift: »Das
alte Europa«, ein Lob auf Preußen, Habsburger, Faschisten und Nationalsozialisten.
Kein Wunder, dass Oskar Lafontaine, der den kontinentaleuropäischen Imperialismus
gegen die USA in Stellung bringen will, wieder in die Politik zurückkehren
möchte.
Die politischen Strategen sind skeptischer. Hätte man auf dem Weg zur Machtentfaltung
nicht doch länger und geduldiger mit Amerikas Stärke leben müssen?
Die FAZ war einst angetan von Joseph Fischer. Anders als der Spiegel, der ihm
vorwarf, er säße nur auf dem Schoß seiner damaligen US-amerikanischen
Kollegin Albright. Die FAZ hingegen erkannte frühzeitig, dass Fischer »im
großen Spiel um die Öl- und Gasressourcen« Deutschlands Macht
entfaltet. Durch Fischers Politik könne Deutschland sogar zur »Ordnungsmacht
in Asien« werden, vorbei an »Möglichkeiten, die den Vereinigten
Staaten fehlen«. Denn anders als die USA stehe Deutschland nicht im Ruf,
hinter Israel zu stehen. Erfolge schienen sich einzustellen, als Putin seine
Menschen, Rohstoffe und Waffen für Deutschlands Weltgeltung bereitzustellen
versprach und Immanuel Kant einen Großen nannte. Da schien Königsberg
so nah.
Mittlerweile ist man sich der Tatsache bewusst, dass Rumsfelds Sarkasmus keine
Entgleisung war, sondern ein Ausdruck davon, dass sich »die Perspektiven
nicht zur Deckung bringen lassen, jedenfalls nicht die großen (geo-) politischen
und strategischen Fragen« (FAZ). Aber Schröder und Fischer lassen
nicht erkennen, dass sie nach dem Krieg gegen Saddam »rasch wieder lieb
Kind in Washington« werden wollen. Einen »Mangel an Courage«
könne man ihnen nicht vorwerfen, aber mussten diese Achtundsechziger das
Fass derart weit öffnen? Dieses »neue deutsche Selbstbewusstsein«
nimmt Schaden am transatlantischen Verhältnis »billigend in Kauf«,
jongliert mit vielen Kugeln, von denen ein paar »mit politischem Sprengstoff
gefüllt« seien. Amerika ist außerhalb Europas noch immer der
»wichtigste Partner Deutschlands«, bemerkt die FAZ. Richtet keine
irreparablen Schäden an!
Zu spät. Die haben eben nicht nur im Wahlkampf Stimmungen abholen wollen.
Die meinen es ernst. Eine neue Epoche hat begonnen, und denselben Strategen,
die mit der Rückholung Königsbergs nicht warten mochten, wird jetzt
schwindelig. Schröder und Fischer werden den Schaden begrenzen wollen mit
Kriegsschiffen, Spürpanzern, Awac-Flugzeugen, vielleicht sogar mehr. Sie
werden praktische Vernunft gelten lassen. Aber sie signalisieren eine größere
Bereitschaft zum Bruch mit den USA als alle ihre Vorgänger.
Von der Vergangenheit verabschiedete man sich im Krieg gegen die Serben. Jetzt
formuliert Deutschland einen Führungsanspruch gegen die USA, in der Hoffnung,
jene Staaten um sich zu scharen, die sich von Amerika an den Rand gedrängt
sehen. Schröder rückt praktisch vor. »Seinen Besuchen in China
wie auch anderen Ländern in Fernost misst Schröder erkennbar mehr
Bedeutung zu als denen in Amerika«, notiert die FAZ. Die florierenden
China-Geschäfte mögen ihm zu Kopf gestiegen sein. Chinas Wirtschaft
besteht zu einem Viertel aus Exporten, und davon nimmt Amerikas riesiger Markt
wiederum ein Viertel ab, der deutsche nur vier Prozent. China bastelt geduldig
an seiner Macht und wird so schnell nicht Deutschland zur Seite springen, wenn’s
gegen die USA gehen soll. Und Putin? Siehe oben.
Das Tempo ist beachtlich und wird sich vielleicht nur noch durch einen Regierungswechsel
korrigieren lassen, der aus anderen Gründen schnell kommen könnte.
Fischer formuliert neue Leitlinien der Außenpolitik, die nicht nur die
FAZ und Wolfgang Schäuble schwindeln lassen. Seine Geostrategie für
Deutschland lautet: »Kulturell nennt sich unser Kontinent Europa –
aber geographisch sind wir eigentlich Westasien – wie der Blick auf die
Landkarte zeigt.« Soll heißen: Wenn wir Großmacht werden wollen,
um die Vereinigten Staaten zu beerben, müssen wir uns, verwurzelt in der
kontinentaleuropäischen Achse, gen Osten über Russland bis China ausdehnen.
»Wir haben kein Interesse an einem grundsätzlichen Konflikt mit den
USA«, werden ihn aber nicht scheuen, denn »Bündnispartner sind
keine Satelliten«, und »Terror ist kein Freibrief für eine
Invasion in irgendeinem Land – erst recht nicht im Alleingang«.
Was Friedensbewegten als Antikriegspolitik erscheint, meint die eigene Fähigkeit
zum Krieg.
Dazu gibt es die neue Bundeswehrstudie, die fordert, Deutschland müsse
fähig sein »zur Intervention in zwischenstaatlichen und kleinen Kriegen
in Europa und angrenzenden Räumen« sowie »zur Abwehr von Bedrohungen
in deren Herkunftsländern«. Für die geplante EU-Verfassung legen
Deutschland und Frankreich eine »Klausel der kollektiven Verteidigung«
ohne Nato vor. Es lässt sich kaum sagen, ob die gegenwärtige oder
eine von der CDU geführte Regierung den imperialen deutschen Interessen
dienlicher wäre. Schon jetzt werde Deutschland, behauptet Hans-Ulrich Jörges
im stern, als »die wichtigste Gegenmacht der Amerikaner« wahrgenommen.
Dahinter steht die Notwendigkeit, als nationales Gebilde Profit aus der übrigen
Welt zu importieren. Wer wie viel bekommt, wird über die Konkurrenz zwischen
den Konzernen und den an ihrer Seite stehenden Nationalstaaten ermittelt. Dabei
ist das Kapital auf die Diplomatie und das Militär seines Nationalstaates
angewiesen, am meisten in Krisen. Der kapitalistische Staat oder ein Bündnissystem
kann durch den Profitraub im Ausland das Sinken seines Gesamtprofits verlangsamen
oder aufheben.
Die Ursachen und Wirkungen des Knalls verschwimmen. Die USA gehen zur aggressiven
Form der Weltherrschaft über und bringen die Konkurrenten entweder an ihre
Seite oder zwingen sie zu nationalistischen Gegenreaktionen. Andererseits begab
Deutschland sich ohne Zwang im Eiltempo auf den Weg zur Erlangung alter »Größe«,
beseelt von dem Gedanken, als Mittelmacht die USA beerben zu können, mit
Europa im Rücken und Russland vor Augen.
Eine Frage, die in der Jungle World häufiger gestellt wird, ist noch nicht
beantwortet: Welche Überlegungen ich anstelle, wie Saddam »auf andere
Weise« als durch Krieg »beseitigt werden könnte«. Meine
Möglichkeiten dazu sind genauso erbärmlich wie der Beitrag, den linke
Kriegsbefürworter zur militärischen Stärkung der Vereinigten
Staaten leisten.
Angesichts der von den Imperien ökonomisch und militärisch aufgerüsteten
Diktaturen auf der Welt und der gesteuerten Stellvertreterkriege wäre die
Konzentration auf den Sturz der eigenen Mächte der wichtigste Beitrag zum
Sturz von Tyrannen. Wer seine Hoffnungen auf imperialistische Kriege projiziert,
begleitet nur wohlwollend neue Massaker und die permanente Auswechslung von
Tyrannen.
Zuerst schenkte man der irakischen Bevölkerung einen mit Giftgas voll gepumpten
Saddam, dann schwächte man ihn mit uranverseuchten Bomben, an denen die
Familien für Jahrzehnte leiden. Jetzt wird er vielleicht mit der neuen
E-Waffe beseitigt, die nur Fleisch verbrennt. Auf der anderen Seite schießen
in der Linken Antiamerikanismus und Antisemitismus ins Kraut. So wird etwa im
ak zwei Seiten lang am Mythos einer jüdischen Weltverschwörung gebastelt,
die Amerika in den Krieg treibe. Der kritische Verstand hat sich zwischen diesen
Mühlsteinen zu behaupten.
aus: jungle world
www.jungle-world.com