Freiheit für Marco, Daniel und
Carsten
Linke Politik verteidigen
Es ist der 27. November 2002, 9.00 Uhr. Marco kauft gerade Brötchen
in einer Magdeburger Bäckerei. Kaum hat er sie verlassen, da kommen mehrere
Personen auf ihn zu. „Sind Sie Herr Heinrichs?“ Ohne die Antwort
auf ihre mehr rethorische Frage abzuwarten, überwältigen sie Marco,
legen ihm Handschellen an, ziehen ihm eine Maske über den Kopf und brausen
mit ihm im Auto davon. Diese „freundlichen“ Herren sind Beamte des
Bundeskriminalamtes - auf Terroristen-jagd.
Gleicher Tag, anderer Ort und etwa 90 Minuten später. Daniel besucht gerade
seine Mutter in Quedlinburg, etwa eine Autostunde von Magdeburg entfernt. Das
Telefon klingelt. Noch etwas verschlafen geht er ran. „BKA, bitte öffnen
sie die Tür!“ und gleich aufgelegt. Etwas verwirrt - wohl nicht nur
durch das Wort „Bitte“ aus dem Munde eines BKA Beamten - geht er
zur Tür. Durch den Türspion sieht Daniel eine Gruppe Männer und
eine Frau im Treppenhaus stehen. Er öffnet die Tür einen Spalt weit,
wird zurückgestoßen und die Beamten stürmen
in die Wohnung.
Marco und Daniel wird die Festnahme erklärt. Ihre Wohnungen in Magdeburg,
die Wohnung von Daniels Mutter in Quedlinburg und die seiner Freundin in Berlin
werden durchsucht. Beschlagnahmt werden persönliche Papiere, Computer,
Adress- und Telefonbücher sowie bei Marco eine Flachbatterie, eine Fahrrad-glühbirne,
Kabel und Reste von Feuer-werkskörpern. In der Polizeidirektion Magdeburg
werden beide ED-Behandelt und getrennt voneinander in Zellen eingesperrt. Am
darauf folgenden Tag werden beide nach Karlsruhe verfrachtet und dem zuständigen
Haftrichter vorge-führt. Der verhängt Untersuchungshaft. Marco wird
der JVA Köln-Ossendorf und Daniel der JVA Rheinbach zugewiesen. Seither
sitzen sie im Knast. Und warum? Sie sollen Mitglieder einer terroristischen
Vereinigung sein.
Magdeburg - war da was?
Auf der politischen Karte der Bundes-republik nimmt Magdeburg nur einen unbedeutenden
Platz ein. Das gilt auch für die politische Linke der Stadt, die wie fast
überall ziemlich marginalisiert ist. Magdeburg wurde in den vergangenen
Jahren eher durch besondere Brutalität rechtsextremer Gewalt in die über-regionalen
Schlagzeilen gebracht. Die Ermordung von zwei jungen Punkern 1992 und 1996,
die „Himmelfahrtskrawalle“, lebensbedrohliche Überfälle
aus einer starken Neonazi-Szene heraus, markieren einen nicht unwesentlichen
Bezugspunkt für die politische Linke in Magdeburg.
Das Viertel Stadtfeld bietet noch die größte Verdichtung links-alternativer
Ansätze. Hier befand sich bis zur Räumung im Sommer 2002 das durch
Besetzung geschaffenen Hausprojekt „Ulrike“. Als politisches Wohnprojekt
sollte die „Ulrike“ eine Infrastruktur neu erschaffen, die es Anfang
der 90iger Jahre durch das Projekt in der Uhlandstraße 8 (U8) bereits
gab. Für die Magdeburger Szene gab es ohne ein solches selbstverwaltetes
Objekt nur provisorische Möglichkeiten sich zu treffen, die Hausbesetzung
hatte damit eine enorme Bedeutung. Im Zuge der Ermittlungen gegen Marco und
Daniel wurde die „Ulrike“ geräumt und damit die politischen
und kulturellen Strukturen empfindlich getroffen. Die Magdeburger Linke ist
eine vergleichsweise junge Szene. Ende der 90er gab es hier einen spürbaren
Generationswegbruch, viele Linke ver-ließen die Stadt aufgrund fehlender
Perspektiven. Eine damit einhergehende fehlende Kontinuität bewirkt, dass
sich die Magdeburger Linke ständig neu erfinden, organisieren und differenzieren
muss.
Zum einen wurde versucht mit Stadt-teilarbeit und offenen Politikangeboten aus
der Isolation auszubrechen. Daraus entwickelte sich ein bunter und viel-fältiger
Widerstand. Demonstrationen, spontane Kundgebungen und andere Aktionen fanden
immer wieder zu Themen wie Umstrukturierung, Globalisierung, Antirassismus und
Antifaschismus statt.
Andererseits kam es in der Stadt auch zu militanten Aktionen und diese werden
jetzt u.a. Marco und Daniel zur Last gelegt.
Im August 2001 wurden mit Brandsätzen zwei Autos auf dem Gelände des
Daimler-Chrysler Autohauses Krumey entzündet und die Fassade beschädigt.
Dazu be-kannte sich eine „Revolutionäre Aktion Carlo Giuliani“.
Am 17. Februar 2002 verübte ein „Kommando globaler Widerstand“
einen Brandanschlag auf zwei Telekom-Fahrzeuge, die durch das Feuer zerstört
wurden. Die Telekom wertete die Brand-ursache als „technisch bedingt“,
so dass die Polizei nicht eingeschaltet und erst durch das Bekenner-schreiben
darauf aufmerksam wurde. Am 18. März 2002 - dem Tag der politischen Gefangenen
- ereigneten sich schließlich zwei Brandanschläge auf das LKA-Gebäude
in Magdeburg und einen Bus des BGS. Hierzu bekannte sich ein „Kommando:
Freilassung aller politischen Gefangenen“.
Weitere Beschuldigte und die Militanz-debatte in der Berliner Szenezeitschrift
„Interim“ wird unterdessen über Möglichkeiten des militanten
Widerstandes diskutiert. In dieser bisweilen recht vollmundig geführten
Debatte wurden zwar keine neuen Strategien entwickelt, doch das Interesse der
Sicherheitsbehörden war nachhaltig geweckt. In Ermangelung geeigneter Ansatzpunkte,
war ihnen ein Zugriff verwehrt. Ein Fingerabdruck von Daniel, der sich auf dem
Karton befunden haben soll in dem der Brandsatz unter dem BGS-Bus deponiert
war, änderte diese Situation schlagartig. Die Ermittlungen kon-zentrierten
sich nicht nur auf Daniels politische Zusammenhänge in Magdeburg. Eine
Verbindung zu Gruppen die sich an der Debatte in der Interim beteiligt hatten
(z.B. die Militante Gruppe „MG“) wurde von den Ermittlern vorausgesetzt.
Schließlich wurde sich ja in der An-schlagserklärung des „Kommando:
Freilassung aller politischen Gefangenen“ in einem Nebensatz auf die MG
bezogen.
Die Suche nach weiteren Personen die Mitglieder in der vermeintlichen Ver-einigung
gewesen sein könnten, war zwingend notwendig um den Vorwurf nach §129a
aufrecht erhalten zu können. Zu diesem Zweck wurden neben Marco und Daniel
sechs weitere Magdeburger Szene-Aktivisten der Gruppe zugerechnet. Diesen geschah
erstmal nichts, was ziemlich ungewöhnlich ist bei einem Vorwurf dieser
Art. Schließlich ist es ein gehöriger Widerspruch zu behaupten, Leute
wären Teil einer terroristischen Vereinigung gegen die ermittelt werde,
diese aber andererseits nicht mal zur Vernehmung vorzuladen oder die Wohn-ungen
zu durchsuchen. Das änderte sich mit dem 1. April 2003. An diesem Tag wurden
insgesamt 10 Objekte darunter die Wohnungen der sechs noch in Freiheit befindlichen
Beschuldigten und das AJZ in Dessau, durchsucht. Dort hätten „die
Magdeburger“ Kartons oder Kisten deponiert, sei den Ermittlern von einem
anonymen Hinweisgeber geflüstert worden. Gefunden wurde natürlich
nichts. Im Anschluss an diese Durchsuchungen wurde einer der Betroffenen massiv
unter Druck gesetzt. Die BKA-Beamten nutzten persönliche Dinge die sie
durch die Ermittlungen erfahren hatten als psychisches Druckmittel, um ihn zu
Aussagen zu bewegen bzw. zu erpressen.
Jetzt auch noch Carsten
Als vorläufiger Abschluss der Suche nach weiteren Beschuldigten wurde am
16. April Carsten in Magdeburg verhaftet und dem Haftrichter am Bundesgerichtshof
vorgeführt. Das Konstrukt der terror-istischen Vereinigung wurde durch
Carstens Festnahme erstmals in eine Richtung konkretisiert, die viele schon
geahnt hatten. Der „Autonome Zu-sammenschlusz“ (AZ), eine offen
arbeitende linke Gruppe aus Magdeburg, soll demnach Keimzelle der angeblichen
terroristischen Vereinigung gewesen sein. Die Beschreibung als Keimzelle ist
jedoch nicht mehr als ein juristisches Feigenblatt. Faktisch werden die Struktur
und die Personen des AZ mit einer „illegalen“ Gruppe gleichgesetzt,
eine legal und offen arbeitende linke Gruppe zur Terrorvereinigung erklärt.
Damit werden alle die im AZ aktiv waren in die Ermittlungen hineingezogen und
zu potenziellen Terroristen. Diese generelle Kriminalisierung linker Politik
ist nicht beispiellos. Bereits in der Vergangenheit wurde in einigen wenigen
Fällen versucht gegen legale linke Gruppen mit der großen Repressionskeule,
dem §129a, vorzugehen. Die Versuche scheiterten, in Magdeburg versucht
es die Bundesanwaltschaft erneut. Ein solches Vorgehen passt gut in die momentane
politische Landschaft und Angst vor allzu viel Protest muss man in Karlsruhe
ohnehin nicht haben.
Ordnung, Kontrolle, Sicherheit
Die bestehende gesellschaftliche Ordnung die auf der Verwertbarkeit von Menschen
aufbaut, produziert geradezu auto-matisch ein Interesse an der Kontrollierbarkeit
dieser Menschen. Überwachung und Repression sind seit jeher integraler
Bestandteil kapital-istischer Produktion. Die Zwangs-verhältnisse des Lernens,
Lebens und Arbeitens nach dem Modell des Exerzierens, das im Produktionsbereich
seine Vollendung im Takt der Fließbänder fand, ist in den letzten
Jahrzehnten neuen Strategien gewichen. Danach steht weniger die sklavische Disziplin
beim Befolgen starrer Regeln im Vordergrund, als soziale Integration und Ausbeutung
in einem nicht klar umrissenen Normalbereich. Sozialarbeit, Marken-fetisch,
Teamwork, dezentralisierte und privatisierte Verhaltenskontrolle sind einige
Strukturen der postmodernen Kontrollgesellschaft.
Daneben erlebt die „öffentliche Ordnung“ in Deutschland eine
regelrechte Renaissance. Aussagen wie „man muss die Ängste der Bürger
ernst nehmen“ signalisieren, obwohl diese Ängste häufig mehr
gehört als geäußert werden, dass zunehmend nicht mehr konkrete
Straftaten, sondern subjektive Befindlichkeiten zum Gegenstand sicherheitspolitischer
Interventionen werden. Beispiel Videoüberwachung. Dabei handelt es sich
um eine Form der Überwachung, wie sie schon seit längerem im privat-kommerziellen
Bereich z.B. in Kaufhäusern und Bahnhöfen praktiziert wird. Das alte
panoptische Disziplinarmodell des „gesehen zu werden, ohne selbst zu sehen“
dient damit vor allem präventiven Zwecken. Die sichtbare Installierung
eines Kontrollsystems soll Menschen zu einem bestimmten Verhalten bewegen. In
zwei Punkten aller-dings unterscheidet sich diese Art der Überwachung ganz
wesentlich vom Panopticon wie es Michel Foucault in „Überwachen und
Strafen“ als Diszi-plinierungsinstrument beschrieben hat. Das postmoderne
Modell lässt sich durch seine Dezentralisierung der Überwachung kaum
mehr lokalisieren und schafft damit den Eindruck der „rundum-Überwachung“.
Zudem beruht es nicht unwesentlich auf der Zustimmung und dem Einverständnis
der Betroffenen. Es ist durch die anhaltenden Sicherheitsdebatten der letzen
Jahre und insbesondere durch den 11.9.2001 ein wachsendes Bedürfnis entstanden,
beständig überwacht zu werden. Wer meint nichts zu verbergen zu haben,
braucht die Kontrolle ja nicht zu fürchten. Das ist der Boden auf dem die
diffusen Bedrohungsängste gedeihen, die jeden Vorgarten zur militarisierten
Zone und jeden Konsumtempel zum Hochsicher-heitstrakt werden lassen können.
Sicherheitswahn und Asozialisierungsprozesse des Kapitalismus
Verantwortlich für die eklatant gestiegenen Sicherheitsängste sind
aber keineswegs reale Bedrohungen durch gestiegene Kriminalitätsraten -
diese stagnieren bzw. gehen beständig zurück - noch einzelne Anschläge
durch wie auch immer geartete Terroristen. Diese Frage muss vielmehr im allgemeinen
gesellschaftlichen Kontext betrachtet werden. Dabei spielt vor allem die Erosion
des Typus des Wohlfahrtsstaates und die stetige Durch-setzung neoliberaler Modelle
eine wesentliche Rolle. Diese Umwälzung - auch wenn sie in Deutschland
langsamer als z.B. in Großbritannien und den USA vonstatten geht - gewinnt
auch hier an Profil. Privatisierung von öffentlichem Eigentum und vormals
staatlichen Aufgaben, flexibler Arbeitsmarkt, niedrige Einkommenssteuern und
„Schlanker Staat“ sind ihre Schlagworte. Diese Transformation strukturiert
auch den sicherheitspolitischen Bereich neu. Der Siegeszug marktregulierter
Steuerung entzieht auf bestimmten Politikfeldern dem Staatsapparat einen Teil
seiner Handlungsressourcen. Das bringt Legitimationsprobleme mit sich, da die
Erwartung, dass der Staat regulierend und intervenierend eingreifen solle, bei
den Menschen nach wie vor präsent ist. Da ist eine Kernfunktion des Staates
- die Gewährung der Sicherheit - ein geradezu unerschöpfliches Quell
der Legitimierung. Auf diesem Feld können Regierung und Parteien Handlungsfähigkeit
demonstrieren, was ihnen in anderen Bereichen längst nicht mehr möglich
erscheint. Somit sind die juristischen Waffenkammern im Kampf um die Sicherheit
immer randvoll gefüllt. Dass viele Menschen auf die Law and Order-Kampagnen
ansprechen, hängt mit ihrer Position im kapitalistischen Verwertungsprozess
zusammen. Sie sind verstärkt dazu angehalten sich an der Lösung bestimmter
Probleme und Angelegenheiten (z.B. der Altervorsorge) zu beteiligen, die bisher
von spezialisierten und autorisierten Staatsapparaten reguliert wurden. Dieser
Hegemonialdiskurs der Individualisierung propagiert einer-seits den Traum des
„Tellerwäscher zum Millionär“, verschweigt aber das dieser
nur für eine verschwindend kleine Minderheit im Bereich des möglichen
liegt. Die strukturellen Risiken des Scheiterns werden so zum Individual-Problem.
Als Reaktion auf die Wirkung dieser Deregulierung verstärken sich gesellschaftliche
Strömungen, die den Verlust bestimmter Normalitätsstandards oder die
Bedrohung ihres sozialen Status durch harte Grenzziehung und rigide Normierung
zu bearbeiten versuchen. Sei es durch Strafbereitschaft, ja Straffreude gegenüber
abweichendem Verhalten oder zunehmend auch in der handfesten Variante mit Gewalt.
Damit wird Stabilität erzeugt, wo die unreglementierten ökonomischen
Verhältnisse diese zerstören.
Die Etablierung der Kontrollgesellschaft begleitet diesen Asozialisierungsprozess.
Die angebliche Naturgesetzlichkeit der kapitalistischen Produktionsweise verunmöglicht
andere Lösungen zu denken. Ein Leben ohne den Zwang seine Arbeitskraft
auch unter noch so miesen Bedingungen verkaufen zu müssen ist für
die Mehrheit nicht vorstellbar. Solange man innerhalb dieses Systems, das immer
mehr Not und Elend produziert, noch zu denen gehört die ökonomisch
verwertbar sind, wird darum gekämpft diese Stellung aufrecht zu erhalten.
Die Bedingungen hierfür werden schlechter und somit wird sich angepasst.
Die Identifikation mit dem „Standort“ der sich gegen andere durchsetzen
muss, mit den „Deutschen“ die ihren Wohlstand gegen „Wirtschaftsflüchtlinge“
verteidigen müssen, mit den „Fleißigen“ denen die Schmarotzer
und Sozialhilfeempfänger wie Florida-Rolf auf der Tasche liegen oder die
Flucht in Verschwörungstheorien, sind der einfache Reflex der davor bewahrt
sich grundsätzlich die Frage nach dem funktionieren des herrschenden Systems
und der eigenen Rolle zu stellen.
Während Analysen jenseits der Repres-sionslogik zunehmend aus dem Blickfeld
geraten, befindet sich die Gesellschaft in einem andauernden Sicherheitswahn.
Allein schon die massive Präsenz von Staatsgewalt und Repression in der
Öffentlichkeit erzeugt das Gefühl der Bedrohung durch jene die außerhalb
der Gesellschaft stehen. Die Folge sind populistische politische Entscheidungen,
die wiederum dieses Gefühl verstärken. Dezentralität und Diffusität
sind somit die wichtigsten Merkmale im Zusammenspiel der Ideologien von Überwachungsstaat
und Kontrollgesellschaft.
Der Kapitalismus und die Gefahr der Personalisierung der
Schuld
Nur allzu verführerisch ist der Glaube die Schuld an gesellschaftlichen
Entwicklungen personalisieren zu können. Wenn beispielsweise in verkürzter
Kapitalismuskritik alle ökonomischen Entwicklungen zu Projekten der herrschenden
Klasse erklärt werden die daraus angeblich ihren Nutzen zieht, wird versucht
konkrete Hauptschuldige für die gegenwärtigen Entwicklungen zu suchen.
Darin finden sich einerseits Anknüpfungspunkte für antisemitische
Denkfiguren, andererseits geht dieser Glaube an den gesellschaftlichen Realitäten
weit vorbei. Vielmehr zeigt sich, dass ökonomische Verwertung, Repressionslogik,
vortäuschen politischer Handlungsfähigkeit und gesellschaftliche Ausgrenzungs-mechanismen
sich zwar gegenseitig unterstützen, aber kein homogenes gesteuertes Gebilde
sind, ja sich unter Umständen auch entgegen stehen können. Deshalb
muss linksradikale Kritik die gesamtgesellschaftliche Dimension erfassen.
Die herrschende kapitalistische Ordnung beruht auf der Aneignung fremder Arbeitskraft
zur Produktion von Waren. Welche Waren das sind und ob sie die realen menschlichen
Bedürfnisse befriedigen können, ist zunächst einmal gleichgültig.
Für diejenigen die das zur Produktion notwendige Kapital zur Verfügung
stellen, zählt einzig und allein ob diese Waren mit Gewinn verkauft werden
können. Sie werden produziert durch Arbeit, dem herrschenden patriarchalen
Prinzip der Unterwerfung von Mensch und Natur. Auf dem Markt wird der in den
Waren enthaltene abstrakte Mehrwert dann in der Geldform realisiert. Produziert
wird also alles was sich zu Geld machen lässt, selbst wenn es die natürlichen
Lebensgrundlagen der Menschen zerstört. Geld ist also keine praktische
Angelegenheit sondern ein gesellschaftliches Verhältnis. Schließlich
schmiedet es über den globalen Markt Menschen zusammen, unabhängig
von deren Willen, d.h. die kapitalistische Vergesellschaftung ist keine freie
und faire Übereinkunft, sondern ein Zwangsverhältnis. Die Warengesellschaft
vermittelt sich global über das Geld, dass die vernutzte menschliche Arbeitskraft
ausdrückt. Diese Vernutzung geschieht aus reinem Selbstzweck, dem Selbstzweck
der Kapital-Akkumulation. Somit kann die kapitalistische Produktionsweise nicht
zu allgemeinem Wohlstand führen, sondern nur in einen fundamentalen Selbstwiderspruch
und in die gesellschaftliche Krise eines verselbstständigten Marktsystems.
Der Selbstwiderspruch besteht auf der einen Seite im absurden Selbstzweck, die
Akkumulation „abstrakter Arbeit“ in eine Akkumulation von ökonomischem
„Wert“ zu verwandeln. Das ganze stellt sich als pulsierendes Wachstum
des Geldkapitals um seiner selbst Willen dar. Auf der anderen Seite aber ersetzt
die selbe irre Vernunft mit zunehmender Produktivkraftentwicklung menschliche
Arbeit fortlaufend durch technisch-wissenschaftliche Entwicklungen und höhlt
so die Substanz der „Wertschöpfung“ selbst aus.
Hinter den „drei Gewalten“ der staatlich politischen Sphäre
der modernen „Demokratien“, nämlich Legislative, Exekutive
und Judikative, steht deutlich die Vierte - die strukturelle Gewalt des totalitären
Marktsystems, d.h. die Regulations- und Realisationssphäre der Kapitalverwertung.
Und da die Gesellschaft als originär politisch betrachtet, und die herrschende
Produktionsweise als naturgegeben angesehen wird, erstrecken sich die Vorstellungen
von gesellschaftlicher Veränderung nur auf die ersten drei Gewalten. Die
innere Krisenpotenz des Kapitalismus steht aber außer Zweifel. Das klaffende
historische Missverhältnis zwischen einer Steigerung der menschlichen Potenzen
einerseits und der Erzeugung immer neuer Armuts- und Krisenpotenziale anderer-seits
hat bisher nicht zur Überwindung des bestehenden Zwangssystems von Wert,
Arbeit, Ware, Geld und Staat geführt.
Und sollte sich eine solche Veränderung nur im geringsten Ankündigen
ist der Staat zur Stelle. Der moderne Staatsapparat ist nur eine Funktionssphäre
des Kapitalismus, genauso wie der Markt. Der Staat reguliert die Märkte,
schafft Rahmenbedingungen, ist Funktionär der allgemeinen kapitalistischen
Menschenverwaltung. Die Rahmenbedingungen werden im Notfall auch mit allergrößter
Härte aufrecht erhalten.
Wie steht’s mit der Repression?
Der Staat ist quasi der gesellschaftliche Rahmen der Produktion für den
Profit und sichert die Reproduktion der hiesigen Verhältnisse. Sein Zweck
ist die Aufrechterhaltung des warenproduzierenden Systems, er verwendet Repression
ebenso wie soziale Absicherung als Mittel und gerät auch schon mal mit
einzelnen Kapitalisten in einen Interessenkonflikt, wenn diese die Grundlage
der Produktion zu zerstören drohen. Seine Grundlage ist die Sicherung des
Eigentums nach innen und außen - die Vorraussetzung zur Profitproduktion.
Demzufolge gehören Eigen-tumsdelikte zu den am schärfsten Verfolgten.
Entsprechend viele soziale Gefangene finden sich in den Knästen. Sei es
weil die Über-Identifizierung mit den herrschenden Werten von Leistung,
Status und Geld oder ihre ökonomische Situation durch den Zwang der Verhältnisse
sie dort hinein gebracht haben.
Daneben finden sich im Knast auch die politischen Gefangenen wie Marco, Daniel
und Carsten. Sie sitzen, weil es zu einer der grundlegenden Aufgaben des Repressionsapparates
gehört, jene zu verfolgen, die das bestehenden System überwinden wollen.
Dabei spielt es keine Rolle ob die Bemühungen erfolgreich sind oder nicht,
wenn sich ein Ansatzpunkt bietet wird zugeschlagen.
Wer gegen Gesetze verstößt, muss damit rechnen bestraft zu werden.
Egal ob er/sie aus politischer Motivation handelt oder nicht. Mensch wird nicht
zwangsläufig härter bestraft, nur weil eine linksradikale Einstellung
Motiv irgendeiner Tat ist. Vielmehr vergleicht der Staat die Tat mit seinem
allem vorangestellten Regelwerk. Im Falle des Nichtübereinstimmens folgt
die Verurteilung. Dabei steht dieses gesetzliche Regelwerk nicht zur Disposition.
Es regelt und exekutiert den repressiven Gesamtzusammenhang.
Justiz ist somit immer politisch und repressiv denn sie formuliert welche Interessen
erlaubt sind und welche kriminalisiert werden. Das die Sicherheitsbehörden
sich nicht zwangsläufig an die von ihnen selbst gewaltsam durchgesetzten
Regeln halten, mag als Widerspruch erscheinen, kann aber kaum jemanden noch
ernstlich empören und erst recht nicht Ansatzpunkt für Kritik von
links sein. Diese würde sich dann als die rein reformistische Politik darstellen,
welche sie doch abzulehnen vorgibt. Es kann also in dieser Situation konkreter
Repression nicht darum gehen auf das Einhalten demokratischer Spielregeln zu
pochen.
Vom repressiven Charakter der Verhältnisse sind viele Menschen wesentlich
mehr und wesentlich härter betroffen als die politische Linke. Der Repressionsapparat
ist inzwischen zur Verfolgungsinstanz von Minderheiten wie Flüchtlingen
und sozial Ausgegrenzten mutiert, die ein ganz anderes Maß an polizeilichem
Terror und Willkür zu erdulden haben, als wir es uns oft vorstellen. Vom
repressiven Charakter der Sozialverwaltung und dem ökonomischen Überlebensdruck
der auf vielen Menschen lastet, ganz zu schweigen. Zudem gibt es einen erheblichen
Unterschied zwischen selbstgewählter Opposition und aufgezwungenem Außen-seiterstatus.
Kritik am repressiven Charakter der Verhältnisse braucht demzufolge keine
Trennung zwischen „normaler“ Strafverfolgung und politischer Repression.
Die Mechanismen sind die gleichen.
Trotzdem gibt es ein ganzes Arsenal von exekutiven und juristischen Möglichkeiten,
die die politische Repression kennzeichnen. Das sind die Sondergesetze wie der
§129a und entsprechende Abteilungen bei Polizei, Staatsanwaltschaft und
Geheimdiensten. Sie zielen insbesondere auf die Kriminalisierung von Menschen
und Handlungen die Staat und Verwert-ungslogik angreifen, dafür werben
oder Handlungsmöglichkeiten einfach nur diskutieren. Ihre Auswirkungen
sind weniger konkrete Verurteilungen. Sie zielen auf Einschüchterung und
Verunsicherung - das Erzeugen einer allgemeinen Ohnmacht - und damit auf die
Abschreckung.
Diese Abschreckung wirkt nicht allein auf jene, die derzeit linksradikale Politik
machen, sondern auch auf jene die nach Ausdrucksformen ihrer Unzufriedenheit
suchen. Nicht ohne Grund sind deshalb gerade junge Menschen Opfer dieser Repression.
Doch das ist kein privater Kleinkrieg des Sicherheitsapparates gegen die politische
Linke. Im Gegensatz zum Herbst ´77 geht es heute bei der politischen Repression
gegen Linke nicht um deren vollständige Zerschlagung - strukturell und
personell - was in anbetracht der momentanen Kräfteverhältnisse auch
nicht wirklich verwundern kann. Die Repression ist die gegenüberliegende
Seite der Verein-nahmung bzw. Integrierung in den Schoß der Gesellschaft.
Die Linke wird einfach dort gehalten wo sie auch schon vorher war - vornehmlich
mit sich beschäftigt in der relativen Bedeutungslosigkeit.
So geht es im momentanen Verfahren gegen Marco, Daniel und Carsten auch nicht
um das Weiterleben linksradikaler Politik im Allgemeinen. Auf abstrahierter
Ebene hingegen, geht es für uns aber darum in welchem Maße wir -
bzw. jegliche emanzipatorische Politik - in Zukunft eine Chance auf politische
Relevanz haben werden.
Linke Politik verteidigen
Linksradikale Politik heißt die Verwertungsbedingungen zur Disposition
zu stellen, Widerstand gegen die Strukturen zu leisten die Herrschaft und Ausbeutung
reproduzieren, also gegen Kapitalismus und die dazugehörigen Formen der
Politik. Das ist ohne Analyse der Verhältnisse nicht zu machen, insbesondere
da alle möglichen Gesellschaftsalternativen tabuisiert werden. Dabei spielt
weniger eine Rolle, an welchen konkreten Ansatzpunkten sich die linke Fundamentalopposition
artikuliert, sondern vielmehr wo es gelingt in das politische Geschehen einzugreifen.
Unser Kampf gegen die Repression ist deshalb auch ein Kampf für unseren
Anspruch auf ein besseres Leben.
Niemand wird für sich in Anspruch nehmen können den ultimativen Weg
dahin eingeschlagen zu haben oder überhaupt nur genau zu kennen. Wir solidarisieren
uns mit Marco, Daniel und Carsten die wegen ihres politischen Engagements jetzt
vor Gericht gestellt werden. Nicht wir haben uns den Zwangsverhältnissen
anzupassen sondern die Verhältnisse der Bedürfnissen der Menschen.
Und das geht nur ohne Ausbeutung, Patriarchat, Rassismus und Antisemitismus.
Als freie Vereinbarung freier Menschen.
Freiheit für Marco, Daniel und Carsten!
Die Gefangenen müssen raus -
der Kapitalismus muss weg!
Linke Politik verteidigen!
www.soligruppe.de