2 ème Forum Social Europeen 2003

Auch wenn dieser Bericht jetzt reichlich verspätet hier
ins Programm gelangen wird, wollten wir doch nicht darauf verzichten, einige der Geschehnisse darzustellen, welche sich im Rahmen des 2. europäischen Sozialforums vom
12. - 16. November in Paris ereigneten.

Obschon wir am 12. November um 4:00 Uhr in der Frühe in Richtung Paris aufbrachen, erreichten wir das Sozialforum zu spät, um noch an dem zu Ehren der Militanten erfolgten Empfang durch die uns beherbergenden Stadtteile bzw. die sie repräsentierenden BürgermeisterInnen teilnehmen zu können. Auch das am 12. abgehaltene, wichtige Frauenplenum, haben wir leider nicht mehr rechtzeitig erreichen können. Unter dem Motto Ni putes, Ni soumises ( Weder Schwänze noch Unterwerfung ) wurde das diesjährige eurpäische Sozialforum eröffnet. Anlaß zu diesem Motto gab die wenige Wochen zuvor erfolgte Selbstverbrennung einer jungen Frau, welche wiederholt sowohl auf offener Straße, als auch in ihrer Wohnung, vergewaltigt worden ist. Ein Verbrechen, daß in Deutschland ebenso gefürchtet wird. Die Sichtbarkeit der Frauenfrage war denn auch eine wichtige Neuigkeit auf diesem Forum. Während der ersten drei Jahre der europäischen Bewegung war sie nicht in dieser Form präsent. Insbesondere Gundrum Schyman hielt als Frontfrau der schwedischen Linken eine sehr erfolgreiche Rede, in welcher sie u.a. die Gewerkschaften dazu aufforderte, die Frauenfrage nicht als ein Problem des Minderheitenschutzes zu behandeln.

Doch kommen wir zunächst noch einmal zu dem Empfang der Militanten durch die kommunistischen Bürgermeister der Stadtteile Montreuil, Bobigny, Ivry, Saint-Denis und La Villette. Die Begrüßungsansprache soll hier in Form eines kurzen Auszuges einmal wiedergegeben werden :
„Montreuil est heureuse et fière de vous accueillir de votre participation au Forum social européen. Votre présence manifeste le besoin profond de renforcer les échanges entre ceux qui refusent de se résigner au modèle dominant de la mondialisation.“ ... „En vous accueillant, les Montreuillois prolongent leur vieille tradition de solidarité notamment illustrée par l`accueil des militants d`Italie dans les annes 20 et 30, des Républicans espagnols, par sa résistance ˆ la barbarie nazie, ou par son refus de la guerre au Vietnam et en Algérie et plus récemment en Irak.“ ... Permettez-moi de vous souhaiter, au nom des Montreuilloises et des Montreuillois, la bienvenue Montreuil, un bon travail et un bon séjour.“

Der unsere Gruppen begrüßende Bürgermeister Jean-Pierre Brard stellte unsere Arbeit im sozialen Widerstand also in eine Reihe mit den der italienischen Militanten gegen Mussolini bzw. den der SpanienkämpferInnen gegen den Francofaschismus. Das uns gewährte Gastrecht wurde ausdrücklich auch in die Tradition des Asyls für Deserteure des Vietnam- und Algerienkrieges gestellt. Unsere Unterkunft ( eine Turnhalle mit Duschen und WC‘s ) wurde durchgängig durch Gewerkschafter bez. AnwohnerInnen des uns beherbergenden Stadtteils beschützt, um mögliche Übergriffe durch den FN zu verhindern. Obwohl wir uns nicht mehr in der Republik der Regierung Jospin zusammenfanden, waren die Menschen in Paris uns gegenüber während der Dauer des Forums zunehmend aufgeschlossen, ja oftmals sehr höflich, und vor allem wesentlich interessierter als man es von uns Deutschen gewohnt ist. Unübersehbar wurde diese interessierte Haltung seitens der Pariser Bevölkerung am Tag der Abschlußdemonstration, als die Straßenränder über die Dauer der gesamten Demonstrationsstrecke dicht an dicht mit abertausenden von BürgerInnen gesäumt waren. Ihre spontane Teilnahme war es, welche unsere Manifestation am 15. November auf etwa 250.000 DemonstrantInnen anwachsen ließ (die in Italien erscheinende Unita sprach gar von 500.000 TeilnehmerInnen) !

Die Tage in Paris brachten unglaublich viel Neues. Zahllose Initiativen zu Aktionen, sowie Eindrücke und Informationen drangen an uns heran. Nur wenige von uns nahmen an den wirklichen Aktionen innerhalb und außerhalb von Paris teil; auch weil zunächst ein großes Informationsbedürfnis bestand. Die wichtigsten Aktionen bestanden wohl darin, daß ein schönes Haus in der Innenstadt von Paris besetzt und zum Autonomen Zentrum erklärt wurde. Dieses Autonome Zentrum ist nach wie vor existent ! ( Die Anschrift wurde leider nicht erfragt => über : Maison des Metallos ). Eine Aktion in der Nähe des Grand Palais mußte abgebrochen werden, da auf dem Champs-Élysées massiv Polizei aufgefahren war. Zuvor gelang eben dort die erfolgreiche Besetzung der Air France Filiale. Wirklich groß war auch die Zahl der TeilnehmerInnen, welche am Freitag das Arbeitsministerium besetzten. Zahlreich waren auch die Aktionen von AC und insbesondere Sans Papiers. Am Freitag abend, dem 14. November, demonstrierten sie z.B. vor der Mairie in Saint Denis für die Aufhebung der Residenzpflicht, tarifliche bezahlte Arbeit und die Aufhebung ihrer Illegalität. Bei Erscheinen der Polizeikräfte besetzten sie kurzum die Mairie und forderten den dort residierenden Bürgermeister zum Gespräch. Dieser erschien dann auch tatsächlich und wies nach kurzem Streit die vor dem Gebäude aufgefahrenen Polizeikräfte an, Saint Denis umgehend zu verlassen und sicherte den Flüchtlingen freies Geleit zu. Die Mairie in Saint Denis, daß sei anbei bemerkt, ist insofern ein geschichtsträchtiger Ort, als von dort aus die Revolution von 1789 ihren Lauf nahm. Uns wurde zum gleichen Zeitpunkt die große Ehre zuteil, daß wir unser Treffen der Deutschen in eben jenem Salle des mariages abhalten durften, in welchem die jakobinischen Konspiranten der Grande Revolution ihre klandestinen Vorbereitungen zum Sturm auf das Zeughaus trafen. Dies Treffen in der Mairie wäre vor 10 Jahren noch völlig undenkbar gewesen ! Doch dazu später. Schlechter verlief allerdings eine anfangs noch sehr glücklich angehende Anti-Knastdemo. Zuletzt gabs allein dort noch ca. 300 Festnahmen.

Die Mehrzahl von uns nahm aus besagten Gründen ( u.a. auch mangelnde Ortskenntnis ) an den über 55 Plena, etwa 250 Seminaren und mehr als 100 Workshops teil. Im Nachhinein wurde dem Sozialforum des öfteren ein eher schlechtes organisatorische Ergebnis unterstellt. Dies scheint jedoch auf Unverständnis zu beruhen. Beklagt wurde beispielsweise, daß die Debatten nicht zusammenhängend konzipiert worden sind und daß die fünf unterschiedlichen Tagungsorte etliche Kilometer voneinander entfernt waren.

Zum ersten ist anzumerken, daß ein jeder bzw. jede Gruppe sich die thematischen Zusammenhänge mit Hilfe des überall kostenlos ausliegenden Programmes selbst hätte erschließen müssen. Aufgrund der Menge des Informationsangebotes galt es zudem Schwerpunkte zu setzen ! Was den ReferentInnen gelang, hätte auch den TeilnehmerInnen, zumal bei konsequenter Umsetzung, durchaus gelingen kšnnen. Im übrigen hätten insbesondere die Gruppenzusammenhänge die Möglichkeit gehabt, die Teilnahme an einzelnen Themenfeldern durch Deligierte sicher zu stellen. Zum zweiten zeigt dass Unverständnis gegenüber den vorgefundenen Strukturen, daß manche Forumsbesucher überhaupt nicht reflektiert haben, wer (auch materiell) an unserer Seite kämpft und wer nicht. Dies muß in Zukunft unbedingt anders werden!
Erinnern wir uns nur einmal, wer im Oktober 2003 Mumia Abu Jamal die Ehrenbürgerschaft von Paris verlieh. Nicht die Regierung Chirac war es, sondern der Rat der Stadt Paris, also die VertreterInnen der Kommunen der dortigen Stadtteile. Also einmal ganz genau : nicht die derzeit amtierende französische Regierung stellte und Gebäude und Tagungsräume für das Sozialforum zur Verfügung, sondern die Pariser Kommunen ! Saint-Denis allein wäre als Stadtteil überfordert gewesen, hätte es allen 60.000 ForumsteilnehmerInnen Tagungsräume und Gebäude zur Übernachtung zur Verfügung stellen müssen. Folglich stellten Sie das in Ihrer Möglichkeit stehende für uns bereit, und das waren Plätze, die zu den besten des öffentlichen Eigentums gehören. Wer sich über die Struktur des Pariser Forums beklagt, bringt demnach z.T. die Unfähigkeit zum Ausdruck, sich mit den Kräften auseinanderzusetzen, welche uns aktiv unterstützen. Im übrigen wurde die größe von Paris von vielen einfach unterschätzt. Paris ist eben das, was man eine Weltstadt nennt.
Bevor hier nun eine auszugsweise Darstellung der inhaltlichen Beiträge und der damit verbundenen Auseinandersetzungen erfolgt, sollen die herausragenden Leistungen des 2. ESF noch ganz knapp herausgestellt werden.
Zunächst einmal die maßgebliche Unterstützung der Organisation bzw. der Schutz, und damit die Gewährleistung des problemlosen Ablaufes des Forums, welcher durch tausende Mitglieder der gewerkschaftlichen Basis des CGT erfolgte. Diese Militanten trugen offensichtlich die Hauptverantwortung für die gesamte technische Ausstattung bzw. die Sicherheit der Gebäude. Als organisierte GewerkschafterInnen waren stets höflich und hilfsbereit und man hätte Verständnis dafür haben sollen, wenn sie nicht mehr Menschen in die Tagungsräume hineinließen, als Sitzplätze zur Verfügung standen. Private Sicherheitsunternehmen sind, entgegen anderslautenden Darstellungen, nicht (!) eingesetzt worden. Darüber hinaus ist die große Leistung des Netzwerkes Babel zu erwähnen (auch jetzt wieder in Bombay). Mehr als 900 Frauen und Männer dolmetschten oftmals in fünf (!) Sprachen die Redebeiträge der anwesenden ReferentInnen. Dieser selbstorganisierte Zusammenschluß ermöglichte die simultane Übersetzung von ungeheuren Informationsmengen an ein lingual äußerst heterogenes Publikum. Auch hier erscheint die Härte der geäußerten Kritiken geradezu absurd, zumal diese Leistungen sämtlich in ehrenamtlicher Weise erbracht wurden. Dies gilt auch für das Angebot von warmen Essen durch die Confédération Paysanne.
Zuletzt sei an dieser Stelle noch der Streit um die Akkreditierung erwähnt. Im Ergebnis erhielt Mann oder Frau für 11,-- Euro ein Billet mit dem man für die Dauer des Forums alle öffentlichen Verkehrsmittel benutzen konnte. Damit verbunden war nicht nur ein Deligiertenausweis, welcher den problemlosen Zugang zu allen Foren ermöglichte, sondern auch das Anrecht auf kostenlose Unterbringung. Auch für uns waren diese Deligiertenausweise etwas ungewöhnlich und wir kritisierten den damit verbundenen Ausschlußmechanismus gegenüber denjenigen, welche keinen Ausweis bei sich führten; aber es gab Grund zur Annahme, daß insbesondere der Zutritt zu Gebäuden, welche zu unserer Übernachtung dienten, ohne den Einsatz dieser Ausweise nicht wirkungsvoll gegen unangenehme Besucher ( argent provocateur et franc national ) geschützt werden könnten. Tatsächlich wurden Besucher ohne Deligiertenausweis abgewiesen. Im übrigen wurde diese Akkreditierung für sozial Schlechtergestellte zum Preis von 7,— Euro erteilt und ist unter den TagungsteilnehmerInnen auch verliehen worden.

Die Tagungorte der Sozialforums waren wie bereits erwähnt auf fünf Plätze verteilt. Diese waren : Saint Denis, Bobigny, La Villette und Ivry. Auch im Nachhinein wurde den Allermeisten allerdings nicht klar, wo sich der fünfte Tagungsort befand. Die italienischen Disobbedienti (Unbeugsamen) bereiteten ihre Aktionen beispielsweise außerhalb der Stadt vor und die Veranstaltungen der Sans Papier ( der illegalen Flüchtlinge ) sind sowohl zeitlich als auch räumlich verschoben worden. Treffpunkte, die ohne Angabe des Stadtteils vereinbart wurden, konnten in der Regel nicht gefunden werden. Doch nun endlich zum Inhaltlichen der gehaltenen Redebeiträge :

Es gab im wesentlichen fünf thematische Achsen des Programms.

1.) Gegen den Krieg, für ein Europa des Friedens, der Gerechtigkeit und der Solidarität und Weltoffenheit.
2.) Gegen den Neoliberalismus, gegen das Patriachat, für ein Europa der sozialen und demokratischen Rechte.
3.) Gegen die Profitlogik, für eine Gesellschaft der sozialen Gerechtigkeit, der ökologischen Nachhaltigkeit und der Nahrungssicherheit.
4.) Gegen die Verwandlung unserer Lebensgüter in Waren, für ein demokratisches Europa der Kultur, der Bildung und Information.
5.) Gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung, für gleiche Rechte, den Dialog der Kulturen, für ein Europa, das Migranten offen steht.

Zu zweit zog es uns in der Frühe des 13. zunächst in eine Podiumsveranstaltung gegen die Profitlogik. Unter dem Titel Nachhaltigkeit von Produktion und Konsumtionsweisen wurden insbesondere lokale Strategien thematisiert. Gefordert wurde vor allem die Rückverwandlung von Privateigentum im Bereich der Elektrizitäts- und Wasserversorgung. Durch die Restitution dieser ehemals öffentlichen Betriebe sollen wichtige Aufgabenfelder der kommunalen Daseinsvorsorge zurückgewonnen bzw. gestärkt werden. Dieses Ziel gilt es schon deshalb zu realisieren, weil es nur in der Form kommunaler bzw. städtischer Eigenwirtschaft gelingen wird, eine Dargebotssicherheit im Bereich der elementarsten Bedarfsgüter gegen die Sicherheit einer hier drohenden Profitmaximierung durchzusetzen. Ohne eine solche Abdeckung der Bedürfnisse an ElektrizitŠt, Wärme und Wasser ist die Verwirklichung regionaler Autonomie und eine damit einhergehende Obstruktionspolitik gegenüber dem Bund und den Ländern nicht dauerhaft möglich. Es ist nur konsequent, sich nicht nur die zukünftigen Auseinandersetzungen ans Herz zu legen, sondern auch als Gewinner aus diesen hervorgehen zu wollen. Auf unsere Region bezogen gilt es hier z.B. auf scheinbar so uninteressante Aspekte wie die Beteiligungsverhältnisse an der EWE zu achten. Die EWE‚befindet sich nämlich zu 72,6 % in öffentlicher Hand und erwarb kürzlich vom Stromgiganten EON den fehlenden 27,4 % Anteil. Dieser soll demnächst an der Bremer Börse verflüssigt werden. Wenn es gelingt, unsere öffentlichen Anteilseigner zu einem Aktienkauf in Höhe von 2,5 Prozentpunkten zu bewegen, bestünde für Außenstehende keine Möglichkeit mehr, in Form einer Sperrminorität auf unsere lokale Energieversorgung Einfluß zu nehmen. Tragisch wäre es natürlich, wenn unser EWE-Vorstandsvorsitzender, Herr Dr. Brinker, seine gleichzeitige Position als Vorsitzender des VDEW mißverstehen würde.

Politisch sollten die Land- und Stadträte unserer Region ihre Blicke auf den Sitz der noch amtierenden Bezirksregierung Weser-Ems richten. Von unserer Seite her wäre es notwendig, die Gründung eines Oldenburgischen Sozialforums vorzubereiten. Um ein solches Forum erfolgreich verankern zu können, bedarf es der Konstitutionierung an verschiedenen Orten. Neben der Durchführung der dazu erforderlichen Veranstaltungen hätte es Sinn, von Zeit zu Zeit mittels spektakulärer Aktionen die Öffentlichkeit zu erregen. Da dies einen hohen Kraftaufwand mit sich bringt, sollten die hier angesprochenen Möglichkeiten und Ziele in kleinen Schritten realisiert werden. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, daß solche Konzepte der Autonomie die Stimmung des ESF spiegeln: Handeln oder Untergehen !
Um dem Untergang dauerhaft entgehen zu können, wurde uns Militanten dringend die Zusammenarbeit mit den kommunalen Gebietskörperschaften nahegelegt. Wir stellen dabei möglicherweise eine Macht dar, die über die sich derzeit bildenden Sozialforen entscheidend zur Realisierung einer anderen Welt beitragen kann. Allein in Frankreich versammelten sich im Vorfeld des ESF zwischen Oktober und November in mehr als 150 Städten verschiedene Gruppen zu Stadtteil- bzw. stadtweiten Sozialforen. In Italien haben sich seit dem ESF 2002 in Florenz gar tausende von Sozialforen gebildet.

Besonders wichtig ist die eigenständige Gründung von Sozialforen zum jetzigen Zeitpunkt nicht nur, um Schlagkraft gegen die asoziale Kahlschlagpolitik der Herrschenden zu erreichen. Insbesondere der rechte Flügel von Attac versuchte nämlich das Sozialforum in Paris in eine Art Kolloquium zu verwandeln, wo in ruhiger Atmosphäre nur eine begrenzte Anzahl von Teilnehmern aus verschiedenen europäischen Ländern debattieren sollten. Doch diese Vorstellung konnten insbesondere Bernard Cassen ( Le Monde ) und seine Mitstreiter auf den internationalen Vorbereitungstreffen nicht durchsetzen. Bezeichnend für diese Haltung sei hierzu noch ein Interview von Cassen in der Wochenzeitschrift Marianne zitiert, wo dieser erklärte, daß die unteren Schichten der Gesellschaft, die ArbeiterInnen, Erwerbslosen und prekär Beschäftigten, derzeit über keine politische Vertretung verfügten. Es existiere für diese Unterprivilegierten und Rechtlosen nicht einmal ein Konzept. Sollte aber ein solches Konzept wieder auftauchen, fügte er hinzu, dann gehört es eher in den Bereich der Politik als in jenen der sozialen Bewegungen. Bernard Cassen war es denn auch, der auf allen Podien darauf insistierte, daß der Wechsel von der antimondialisation (Anti-Globalisierung) zur altermondialisation (alternative Globalisierung) eine Notwendigkeit gewesen sei, die es seiner Meinung nach nunmehr mit Nachdruck als Erfolg zu vertreten gilt. Diese Bemühungen um Kontrolle bzw. die Organisation von aktionistischem Leerlauf werden durch die Gründung lokaler Sozialforen zum Scheitern gebracht. Dies ist von immanenter Bedeutung, da es uns die rasant wachsende Armut und die drastische Zunahme des Überwachungsstaates verbietet, als soziale Bewegung auf dem Abstellgleis zu enden. Beklagt wurde an lokalen Sozialforen denn auch die Möglichkeit der spontanen, unkontrollierten Entfaltung von Aktivitäten. Wenn also überhaupt jemand erfolgreich für unsere Interessen rangieren wird, dann sind das wir selbst !

Die Perspektiven für die globalisierungskritische Bewegung waren denn auch Thema des nächsten Podiums im Chapiteau Mumbai, La Villette. Insbesondere auf die Meinung des Soziologen Walden Bello vom Focus of the global South waren wir gespannt. Leider sprach Bello nicht in seiner spanischen Landessprache, was seiner begeisterungsfähigen Redeweise eher schadete. Er war sich sicher, daß unsere Tage auf dem ESF in Paris einen weiteren Meilenstein in der Organisation einer selbstverwalteten zivilen Gesellschaft darstellen und betonte, daß die neue Phase des Kapitalismus diejenige seiner Legitimationskrise sei. Als Einwohner der Phillipinen bemühte er sich, uns seine Einsichten betreffend der Ursachen und Wirkungen der asiatischen Finanzkrise zu erklären. Leider kam es zu einer technisch bedingten Unterbrechung seines Vortrages. Improvisiert wurde der Beitrag von Bernard Cassen vorgezogen. Er hatte Mühe, inhaltlich an das Niveau von Bella anzuknüpfen. Cassen hält es ebenfalls für inakzeptabel, daß wir in einer Welt leben, in der Finanzspekulationen die Gesellschaften kontrollieren und bat die Anwesenden, um Verständnis und Legitimation für unsere Ideen und Lösungen zu werben. Da wir noch nicht eine kritische Masse der Menschen für uns gewonnen / überzeugt haben, werden die Köpfe der Mehrheit auch weiterhin voll von Neoliberalismus sein. Cassens vertritt die Auffassung, daß uns der Mangel an öffentlicher Meinung von unseren Zielen wegbewegt. Trotzdem können wir nicht jahrelang warten und uns in der Opposition befinden. Seiner Überzeugung nach müssen mindestens 5 % der Bevölkerung gewonnen werden, um erfolgreich unsere Ziele erreichen zu können. Er hofft, das unsere Ideen eines tages Teil unserer real existierenden Strukturen werden.

Walden Bello erhielt gegen Ende des Podiums nochmals eine kurze Gelegenheit, sich an das anwesende Publikum zu wenden. Seiner Auffassung nach war kein Ergebnis in Cancun allemal besser für den gepeinigteren Teil der Menschheit, als das sich abzeichnende, unglaublich abschreckende Verhandlungsergebnis. Seiner Auffassung nach waren es nicht die USA, sondern insbesondere die absolute Sturheit der EU ( Pascal Lamy, Wolfgang Clement ), welche den WTO Gipfel scheitern ließen. Glücklich zeigte sich Bello über die Bildung der Gruppe 21 ( China, Brasilien, Indien, Süd-Afrika u.a. ), welche erstmals einen wirklich relevanten und insbesondere auch gerechteren Süd-Süd-Handel durchsetzen und praktizieren. Die USA betrieben eine unglaubliche Vendetta gegen die Gruppe der 21 und spalteten Peru und Bolivien von diesen ab. Die derart korrumpierten Regierungen wurden zwischenzeitlich jedoch durch die sozialen Bewegungen der jeweiligen Staaten vertrieben bzw. inhaltlich an die Wand gedrückt. Mit Hinblick auf diese Erfolge forderte uns Bello auf, mehr Gemeinschaften einzugehen und weitergehende Bündnisse zu schließen, auch wenn es von den Sympathiewerten vielleicht nicht gerade perfekt erscheinen mag.
In diesem Zusammenhang verwies er auch auf den Krieg im Irak. Was heute im Irak passiert ist seiner Meinung nach ein Kampf gegen den Imperialismus. Deshalb sollten wir selbst hier ein Bündnis schließen. Die Gegner der US-Armee sind denn auch vornehmlich nicht Anhänger des Saddam Regimes, sondern Anhänger der Unabhängigkeit (z.B. Studenten). Bello versprach, daß wir jedem die Chance geben, in der Bewegung seine Stimme zu erheben. Dies gilt ihm zufolge vor allem auch für uns OECD-EinwohnerInnen, da der Neoliberalismus nunmehr seinen Hort erreicht. Betreffend der sog. 3. Welt bat uns Bello zu beachten, daß die seit 2001 praktizierte, neue Form von Machtausübung, sehr bald nicht nur ihre Welt beeinflußen wird. Chris Nineham von Globalise Resistance schloß sich dieser Mahnung an und verwies auf den geplanten Aktionstag gegen ökonomischen und militärischen Terror am 20. März. Nineham ist jedoch überzeugt, daß man im Bereich des Antimilitarismus vorsichtig vorgehen müsse, damit die Administration in den USA nicht zu sehr in die Ecke getrieben wird und dann „wie ein wildes Tier“ ein neues Land auf seiner Liste der Schurkenstaaten angreift. Bis zum 3. Sozialforum im November 2004 müssen wir in Europa trotz aller Unterschiede in erster Linie die Gemeinsamkeit unserer Interessen und Bedürfnisse formuliert und klar zum Ausdruck gebracht haben, daß wir dieselben in keiner Weise dem Profit unterordnen werden.

Am nächsten Tag wurde die Diskussion betreffend der Perspektiven für die Bewegung der GlobalisierungsgegnerInnen im Chapiteau Mumbai fortgesetzt. Erinnert wurde nochmals an den großen Erfolg der weltweiten Mobilisierung zum Aktionstag gegen Krieg und militärischen Terror am 15. Februar 2003. Wie auch auf anderen Podiumsdiskussionen, so wurde auch auf unserer der Wunsch geäußert, daß von dem vereinbarten Aktionstag am 20. März 2004 und damit vom ESF in St. Denis / Paris ein starkes Signal ausgehen möge. Sollten sich die Gewerkschaften, also vor allem deren Basis, an diesem Aktionstag wie erhofft beteiligen, wird es zu einem sozialen 15. Februar kommen, namentlich gegen den ökonomischen Terror.
Eine griechische Aktivistin bemerkte völlig zu Recht, daß 2003 ein hervorragendes, gutes Jahr für uns im Kampf gegen den Neoliberalismus war. Gerade weil die Medien dieses Faktum unterdrückten, sei das die Lektion, die wir aus dem vergangenen Jahr zu lernen haben. Als Beispiel nannte sie die Proteste in Tessaloniki und Cancun, wo sowohl das Ausmaß der Ergebnisse als auch die Teilnehmerzahlen durch die Medien völlig verzerrt dargestellt worden waren. Mit Rückblick von heute muß man sagen, daß dies auch für das Scheitern der europäischen Verfassung anfang Dezember 2003 gilt. Niemand machte in unseren Medien den deutschen Chauvinismus für den Abbruch der Verhandlungen verantwortlich. Verhindert wurde, daß der Neoliberalismus Verfassungsrang erhielt. Deshalb ist es wichtig, daß mit Hinblick auf die asozialen Bestrebungen der Herrschenden, auch an der zweiten Aktion, namentlich der Organisierung des Sternmarsches auf Rom (Auftaktkundgebung u.a. am 24.03. auf dem place de la republique in Paris)und dessen große Manifestation am 9. Mai 2004 festgehalten wird. Für diesen Tag war die Ratifizierung des Verfassungsentwurfes geplant. Joschka Fischer sprach sich in diesem Zusammenhang übrigends dagegen aus, eine Akklamation dieser (unsozialen) Verfassung per Plebiszit zu vollziehen. Uns soll also eh nur ein neoliberales Grundgesetz aufoktroyiert werden. Was eine Verfassung ausmacht, haben insbesondere die Demokraten in Deutschland noch nie begriffen. Fest steht jedoch, daß sich nunmehr auch das deutsche Hegemonialkonzept in der Krise befindet. Das ist eine gute Position !

Der wohl am besten in den Widerstandsstrukturen des sog. Trikonts verankerte Wirtschaftsbereich der OECD-Staaten ist der der Bauern und Landwirte. Leider konnten wir am 15. nicht mehr selber an dieser in St. Denis stattfindenden Veranstaltung teilnehmen. Anwesend waren neben zahlreichen ZuschauerInnen u.a. der MST (Movimento sam Tierra, Landlosenbewegung) aus Brasilien, Via Campesina (inzwischen Weltweit organisiert) und natürlich die französische Confédération Paysanne. Gemeinsam war allen die Angst vor dem Einbringen toter Ernten, sprich unfruchtbarer Saaten. Dieses taube Korn, auch Saat des Hungers genannt, wird den Bauern derzeit allerorten (bisher mit mäßigem Erfolg) aufgezwungen. Maßnahmen gegen Du Pont, Monsanto, BASF etc. wurden gefordert. Wütend reagierte man auch auf den erneuten Versuch, über gentechnisch veränderte Getreidesorten Nachbaugebühren beim Saatgut durchzusetzen zu wollen. Letztendlich sind es diese manipulierten Sorten, durch die Jahrhundertelange Domestizierungserfolge kontaminiert werden. José Boveé von der Confédération schilderte das Treffen auf dem Hochplateau von Larzac, am dem im vergangenen Sommer gut 300.000 Militante teilnahmen. Die Deligierten von Via Campesina (Landarbeiter- und Bauernorganisation mit inzwischen mehr als 10 Millionen Aktivisten) brachten ihre Freude über den Gipfel der Militanten im franzšsischen Cancum gegen das zeitgleiche Treffen des WTO im mexikanischen Cancun zum Ausdruck. Heftigst wurden die Subventionen für EU-Agrarexporte kritisiert. Diese hochsubventionierten Agrarexporte überschwemmen insbesondere vor der Erntezeit in den Trikontländern mit aller Regelmäßigkeit die dortigen Nahrungsmittelmärkte und zerstören dadurch die Preise. Die Folge ist, daß die Landwirte in den betroffenen Trikontländern ihre Ernten auf den eigenen Märkten oftmals zu Dumpingpreisen absetzen müssen und sich immer weiter verschulden. Teilweise brechen die lokalen Märkte für Nahrungsmittel regelrecht zusammen. Dadurch werden diese Staaten in Unterentwicklung gehalten. Dort wo die Nahrungsmittelproduktion infolge von hochsubventionierten Agrarexporten der EU bzw. USA zusammenbricht, nehmen Mangelerscheinungen in der Bevölkerung zu und die Sterblichkeitsrate der Kinder steigt dramatisch. Grauenhaft war auch die Bilanz der Hofstellen innerhalb der EG. Erstmals in der Geschichte droht bei uns das Ende der bäuerlichen Landwirtschaft. Während Milliardensubventionen zur Zerstörung von Nahrungsmittelproduktionen in Übersee ausgegeben werden, erhalten innerhalb der Europäischen Gemeinschaften einige Agrarindustrielle den Ÿbergroßen Teil der Subventionen. Immer öfter machen hier die ruinösen Preise den wenigen verbliebenen landwirtschaflichen Familienbetrieben den Garaus. Wenn man die Suizidraten unter unseren Landwirten betrachtet, möchte man kaum glauben, daß die Sicherstellung der Nahrungsmittelversorgung durch unsere BäuerInnen die ursprüngliche Geschäftsgrundlage des EG-Vertrages war. Schlimmes wird auch befürchtet , weil für alle Anwesenden vor dem Podium deutlich wurde, wie hüben und drüben den Landwirten ihre oftmals selbstorganisierten Absatzwege veruntreut bzw. gezielt in den Ruin gemanaged werden. Südmilch läßt grüßen, gell ?

Aus Platzgründen soll hier nicht weiter ausgeführt werden. Auch muß die Darstellung der Diskussionen, welche auf anderen Versammlungen geführt wurden, aus verschiedenen Gründen hier unterbleiben. Bemerkt sei lediglich, daß auf dem ESF Zeitmangel herrschte. Wiederholt wurde den Promis vorgehalten, daß sie zu weitschweifig argumentierten und zuviel von der Redezeit für sich in Anspruch genommen hätten. Das stimmt schon deshalb, weil die RednerInnen oftmals nicht auf den Punkt kamen, und Redezeit in Anbetracht der zu vermittelnden Informationen ein kostbares Gut war. Mancher Promi hat sich vielleicht für zu wichtig genommen und hätte entweder eine wirklich gute Rede gehalten, oder schneller sagen sollen was es zu sagen gab ! Äußerst starke Kritik wurde auch darüber geäußert, daß sowohl das Welt- als auch das europäische Sozialforum nur alle zwei Jahre stattfinden soll. Befürchtet wird insbesondere eine Bürokratisierung der Sozialforen z.B. mittels Geschäftsordnungen und ähnlich gearteter Hierarchieschweinereien. Es bleibt also nur unser Hinweis auf das (hoffentlich erfolgreiche) Weltsozialforum, daß vom 16. – 21. Januar in Bombay durchgeführt wird.
Am Vorabend der Demonstration trafen wir uns im Salle des mariages der Mairie von St. Denis. Die Frage, ob wir Reformen wollen oder eine Revolution, war keine mehr. Peter Wahl von Attac Deutschland und Horst Schmitthenner von der IG Metall machten jedoch einen ganz schlechten Eindruck. Peter Wahl besserte sich im zweiten Anlauf dann aber etwas. Hugo Braun war zunächst ebenfalls etwas wortkarg und Christine Buchholz schien mehrmals peinlich gerührt. Erst der wütende Protest der Anwesenden und die kämpferische Rede von Matthias Fritz, Vertrauenskörperleiter der IG Metall bei Mahle in Stuttgart, machte Dampf auf.

Wir hatten in den letzten Tagen durch TeilnehmerInnen von Russland bis Portugal bestätigt bekommen, daß die Rechte der Demokratie allerorten immer weiter ausgesetzt werden. Immer wieder wurde die Auffassung geäußert, daß unter der Aussetzung des Rechts der Krieg liege und sich die Entwicklungen inzwischen außerhalb demokratischer Kontrolle befinden. Als bedrohlich empfunden wurde u.a. die allerorten drastisch zunehmende Autonomie der Exekutive und die Einflußnahme der privaten Konglomerate mittels Kontrolle der Medien. Auch die Reisefreiheit, wie sie in Schengen vereinbart worden ist, existiert, wie das Jahr 2003 mal wieder zeigte, nicht mehr. Viele wissen, daß der Kompromiß einer wirklichen Demokratie trotz des kapitalistischen Marktes errungen wurde. Nunmehr hat der Neoliberalismus die Demokratie jedoch in einen süßen Tod geführt. Trotzdem bzw. deshalb scheint die Zuspitzung des sozialen Konfliktes von unserer Seite her ohne eine europäische Dimension immer unangebrachter. Und nun das : Während wir uns fragten, wie es möglich war, den Aufbau der sozialen Konflikte zu übersehen, wiegeln die Herren Wahl und Schmitthenner die Notwendigkeit zur offenen Auseinandersetzung ab; wobei letzterer uns sogar noch Arroganz und Überheblichkeit vorwarf.

Schließlich wurde insbesondere den Herren Schmitthenner und Bsirske vorgehalten, daß die Gewerkschaften in Italien, Spanien, Griechenland, Frankreich, Polen und sogar Großbritannien, bereits mit den dortigen sozialen Bewegungen zusammenarbeiten. Es wurde von verschiedenen Anwesenden gefordert, auch in Deutschland endlich eine solche Kooperation auf Augenhöhe zustandezubringen. Endlich wurde dann darauf hingewiesen, wieviel Enttäuschung sich am 20. März auf den Kundgebungen der europäischen Nachbarn breit machen würde, wenn in Deutschland wieder einmal der Kampf um soziale Rechte nicht stattfände.
Schließlich erhob sich Frank Bsirske von der Organisation Verdi und sicherte für seine Gewerkschaft zu, daß man sich Aktiv, und zwar mit der ganzen Organisation an dem Aktionstag im März beteiligen werde. Leider wurde dann vereinbart, auf der Versammlung der Sozialen Bewegungen am 16.11. dafür zu plädieren, den 20. März noch nicht als gemeinsamen europäischen Aktionstag auszurufen. Als Grund wurde vorgeschoben, daß dem DGB bis Anfang Dezember die Möglichkeit gegeben werden sollte, sich eigenständig, also aus freien Stücken, für eine Teilnahme am Aktionstag zu entscheiden. Über diese Taktik sollte auch der Europäische Gewerkschaftsbund (EGB) gewonnen werden. Die Wochenzeitung Jungle World kommentierte diesen, auf der Deligiertenversammlung des ESF tatsächlich auch so getroffenen Beschluß, mit der Befürchtung, daß dieser für den Aktionstag zu einem Begräbnis erster Klasse führen könne. Tatsächlich hat der EGB, also der europäische Gewerkschaftsbund, seine europäischen Aktionstage gegen Sozialabbau auf den 02. und 03. April festgelegt (In Deutschland wird es am 03.04. Großkundgebungen -unter Beteiligung des DGB- in Stuttgart, Köln und Berlin geben). Große Teile der sozialen Bewegungen auf dieser Welt und auch der linken Gewerkschaftsverbände sind mißtrauisch, weil der EGB sich über einen bereits vereinbarten Termin hinweggesetzt hat und in der Vergangenheit immer wieder ein unzuverläßiger Partner war. Setzen wir also alles auf den 20. März und bemühen anschließend noch zusätzlich unsere schmalen Ressourcen für die außerplanmäßigen Aktionstage am Anfang des April (am 02.04. lokale Demo‘s auf Betriebsebene !) ? Unerläßlich ist es jedenfalls, daß die soziale Situation der Menschen abseits der Kostenfrage auf die Tagesordnung gelangt und eine Entscheidung gegen den anonymen Terror des Kapitalismus erzwungen wird !!! Die Agenda 2010 muß abgefackelt werden !

Während Hugo Braun von der Initiative für ein Sozialforum in Deutschland für das nächste bundesweite Vorbereitungstreffen am 30.11. in Frankfurt / Main warb, riefen Gülbahar Aslan vom Kurdischen Frauenbüro und Dieter Hartmann von der Initiative für ein Berliner Sozialforum dazu auf, möglichst zahlreich an der Abschlußdemo des ESF teilzunehmen und gaben den optionalen Treffpunkt für einen deutschen Block auf der Abschlußdemo bekannt. Obschon die meisten der etwa 500 in der Mairie Anwesenden sicherlich an der großen Manifestation teilnahmen, haben sie es offenbar vorgezogen, im Block der AnarchistInnen bzw. der Ataccis mitzulaufen, da der entsprechende Boulevard fast nur durch einige ( ziemlich stumpfe ) DKP‘ler aufgesucht wurde.


Am 15. November ging das 2. europäische Sozialforum seinem Ende zu. Es verabschiedet sich nicht versteckt und kläglich, sondern beweist am Nachmittag mit seiner Abschlußdemonstration noch einmal seine Stärke und Vielfalt. Mehr als 250.000 Antimondialisten demonstrierten in den Straßen von 1789 und der Commune von 1871, daß sie die Zukunft bestimmen wollen. Hier an der Wiege der europäischen Demokratien zeigte sich eine selbstbewußte Bewegung, die die nationalen Grenzen überwunden hat und die entschlossen an der Überwindung ihrer erstarrten, in der sozialen, politischen und ökonomischen Agonie liegenden Gesellschaften arbeitet. Unsere Vielfalt ist ebenso anziehend wie erstaunlich. Auf dem mehr als dreistündigen Zug vom Place de la Republique zur Place de la Nation paradieren nicht nur die traditionellen Organisationen und Bewegungen, hier zeigten sich die vielen neuen Gesichter des Widerstandes, der sich die letzten Jahre gebildet hatte. Die Bandbreite der Botschaften reichte von riesigen Nationalfahnen (Italien) bzw. Euskal Hierra (Baskenland) und Symbolen von verschiedensten Gruppierungen der französischen Gewerkschaften ( CGT, Sud, CNT ) aber auch der Basisgewerkschaft COBAS aus Italien, über Botschaften für ein anderes, soziales, nicht kapitalistisches Europa bis zu Friedens- und Antikriegs-Transparenten. Arbeit und Sozialpolitik war ebenso Thema in verschiedenen Sprachen. Ein großer Block der Sans Papier („der illegalen Flüchtlinge“) war ebenso dabei wie Sozialforen aus den unterschiedlichen Winkeln Europas. Das Forum aus Luxemburg hatte zum Beispiel einen eigenen Block, Städteforen aus Italien ( z.B. Mailand, Bologna, Florenz, Rom ) hoben sich ebenfalls durch ihre großen Transparente aus der Demo heraus. Stark war auch die Beteiligung der arabischen Sympathisanten. Aus Paris selber gilt es dann einen eigenen Block des Bezirks Bobigny zu erwähnen, wo auch ein Teil des ESF stattfand. Anwesend waren natürlich auch die Disobbedienti. Besonders gelungen war der Queer/Tunten/Pink-Block, wo sich unter dem Motto Ni putes, ni soumises verschiedene feministische Gruppen mit sexuellen Minderheiten versammelt hatten. Das Ende der Demonstration bildete ein großer Block der Anarchisten.

Aus der BRD waren vereinzelt Leute erkennbar, im Block von Attac, die IG-Metall und Verdi waren zu sehen, aber auch Leute der Lackiererei VW Wolfsburg zum Beispiel. Was Deutschland anbelangt, so waren seine EinwohnerInnen mit 3.000 - 5.000 Teilnehmern in Paris kaum beteiligt an der sowohl inhaltlichen, wie organisatorischen Prägung dieser Bewegung. Die soziale Bewegung in Deutschland liegt um Jahre hinter der des europäischen Auslands zurück, wobei pessimistische Stimmen meinen, daß es bereits den Anschluß an das Europa von unten verloren hat. Seine Vertreter auf den Foren und Seminaren machten zumeist einen peinlichst kläglichen Eindruck; wichtige und bedeutende Foren waren gar nicht mit deutschen Vertretern besetzt. Deutschland hatte nicht viel zu bieten, weder inhaltlich noch organisatorisch. Und es wurde auch immer wieder in persönlichen Diskussionen die Frage nach den Gründen gestellt. Um so mehr bestach die intellektuelle, theoretische und rhetorische Brillianz der anderen europäischen Delegationen, vornehmlich der spanischen, italienischen, französischen, englischen, griechischen und der Delegierten der nationalen und kulturellen Minderheiten in Europa.

Schon die Spitze des Zuges signalisierte, daß die Antimondialisten in Paris nicht mit staatlicher Repression zu rechnen haben. Ein Dutzend Mannschaftswagen, ein Dutzend Flics. Die digitalen Anzeigen der Hauptverkehrsadern und Boulevards in der Innenstadt hießen das Europäische Sozialforum willkommen. In gebührendem Abstand zu den zukünftigen Arbeitslosen einer anderen Welt, den Flics, der Beginn des Zuges. Flankiert wurde die Demonstration von zehntausenden pariser AnwohnerInnen, welche sich uns, insbesondere nach Einbruch der Dämmerung, in sehr großer Zahl anschlossen.
Die bereits erwähnte Spitze des Demonstrationszuges wurde neben den gastgebenden Bürgermeistern der Stadt Paris vom Block der Koordination der Intermittenten (die temporär Beschäftigten im Medienbereich) und Prekären der Ile de France angeführt. Weiterhin anwesend waren in der Spitze die Selbstorganisation der ebenso hilfreichen wie unermüdlichen DolmetscherInnen, Babels. Erwähnt werden sollen an dieser Stelle auch Teile der italienischen Cobas, der Ungehorsamen und die Gruppen ALB und Fels aus Berlin. Die ESF-Elite (Berufs-Repräsentanten, Gewerkschaftsführer) wurde während der Demonstration von der Demonstrationsspitze verdrängt. Reformistische Standpunkte waren während der Manifestation auch nur marginal vertreten, so daß die Verdrängten sowieso nicht repräsentativ waren.
Die Route hielt sich vom Stadtzentrum fern, da es zwischen der Regierung Chirac und den reformistischen Kreisen der ESF-Vorbereitung den Deal gab, das ESF nicht im Stadtzentrum sichtbar werden zu lassen. (Dies misslang zumindest teilweise). Die Verdrängung der ESF-Elite hat aber noch einen weiteren Grund. Nachdem das Regionalparlament der Ile-de-France aufgrund einer verlorenen Abstimmung einen zugesagten Zuschuß von 300.000 Euro platzen ließ, verfügte in den Kreisen der Militanten keiner über die Mittel, für die Auftaktkundgebung bzw. die Abschlußkundgebung das notwendige Equipement ( Sound ) so kurzfristig zu finanzieren. Da die Elite des ESF sich hierfür offenbar zu schade war, konnte sie sich ruhig weiter hinten in die Bresche werfen. Im Regionalparlament für den Großraum Paris haben übrigends die Konservativen zusammen mit Front National (FN) und Mouvement national républicain (MNR) gegen jede Unterstützung des Sozialforums gestimmt. Die linken Kritiker des ESF, welche meinen, daß wir es uns auf den von Chrirac bereitgestellten Plätzen bequem gemacht haben, sind genaugenommen entweder schlecht informiert, oder eben nur linke Spießer !
Zum Abschluß dieses zu lang geratenen Berichtes sollten noch ganz kurz die Ereignisse am Ende des Demonstrationszuges beschrieben werden. Dort haben sich der Block der französischen Sozialisten (langjährige Regierungspartei) auf der einen Seite und die Blöcke der Federation anarchiste (FA) bzw. der CNT (anarcho-Gewerkschaft) auf der anderen, über die Dauer der Demonstration in die Haare gekriegt. Da die Sozialisten als ehemalige Regierungspartei einen schlechten Eindruck hinterlassen hatten, wurden sie von unseren AnarchistInnen nicht gerade gemocht. Als sich dann die etwa 100 Bodyguards der rund 200 Sozialisten provokant verhielten, warfen die Anarchos mit Flaschen. Daraufhin gingen die Bodyguards mit Stöcken auf diese los. Das hätten sie besser nicht getan ... , aua aua ... .

ein Reisender