Der letzte Samurai
Japans gewaltbereite neue Rechtsextremisten

So schnell hatte Ichiro Murakami nicht mit dem Ende seiner Aktivitäten zur Rettung der japanischen Nation gerechnet. Ein Sondereinsatzkommando nahm den 54jährigen Vorsitzenden einer Vereinigung von Schwertliebhabern (Token Tomo no Kai) noch vor der geplanten Gründung einer rechtsextremen Massenorganisation im vergangenen Dezember fest. Was von Japans Polizei und Medien als fehlgeleiteter Patriotismus präsentiert wurde, ist ein Lehrstück über die Zusammenhänge zwischen Japans Konservativen und gewaltbereiten Rechtsextremen.

Der Unternehmer aus der zentraljapanischen Provinzmetropole Gifu soll hinter der rechtsextremen Anschlagsserie stecken, die Japan seit November 2002 erschüttert. Linke und nordkoreanische Einrichtungen, Befürworter von Verhandlungen mit Nordkorea und die Aum-Sekte standen auf der Abschußliste der Terrorgruppe, die sich als »Freiwilligenkorps zum Aufbau der Nation – Sondereinheit für die Bestrafung von Verrätern« (Kenkoku Giyugun Kokuzoku Seibatsutai) und »Freiwilligenkorps zum Aufbau der Nation – Sondereinheit für die Bestrafung der Nordkoreaner« (Kenkoku Giyugun Chosen Seibatsutai) zu 23 Anschlägen in zehn Regierungsbezirken bekannte.

Murakamis Firma Nihon Reijin befindet sich in Ginan, einem Stadtteil Gifus, der so ganz und gar nicht dem entspricht, was man sich in Deutschland unter Japan vorstellt. Schnellstraßen zerschneiden das Viertel. Das Donnern schwerer Lastwagen dominiert die Geräuschkulisse. Die Skyline wird vom knallgelben Verwaltungsgebäude der Großwäscherei Takaken bestimmt, das Stadtbild von Billigbauten. Allein die Schriftzeichen deuten darauf hin, daß man sich in Japan befindet. Es könnte genausogut der Mittlere Westen der Vereinigten Staaten sein.
Zwischen »Mister Donut« und »Aoki’s Pizza« arbeitete Murakami an der nationalen Wiedergeburt Japans. Nachdem sich der Vertrieb von Eßbesteck nicht rechnete, zog er einen schwunghaften Versandhandel mit traditionellen japanischen Schwertern auf. Sein Versprechen, die Schwerter für 70 Prozent des Kaufpreises zurückzunehmen, überzeugte die Kundschaft. Die Mitglieder von Token Tomo no Kai gehörten größtenteils dazu.

Murakami äußerte im Mitgliedsblatt der Vereinigung zunehmend extremere Ansichten und begann sich auf Veranstaltungen der Schwertliebhaber nach Gleichgesinnten umzusehen. Die wichtigsten Positionen des Verbands besetzte er mit seinen Anhängern. »Als ich in den Vorstand berufen wurde, war ich mit den Zuständen unzufrieden. Es war wie ein Geschenk des Himmels«, schrieb etwa der 48jährige Eiji Shikano im Mitteilungsblättchen des Vereins. Er wurde im Zusammenhang mit einem Anschlag auf eine Einrichtung der Aum-Sekte festgenommen.

Die Anschlagsserie sollte den Namen der von Murakami geplanten Massenorganisation »Kenkoku Giyugun« (Freiwilligenkorps zum Aufbau der Nation) bekannt machen: »eine Gruppe moderner Samurai, die ihr Bestes dafür geben wollen, Japan zu einer wirklich unabhängigen Nation zu machen«. Die Forderung nach Unabhängigkeit erklärt sich daraus, daß sich die japanische Rechte unter einer Art US-Kolonialherrschaft wähnt.

Was einen wohlgenährten Versandhändler aus Gifu, einen Zahnarzt aus Tokio oder einen Restaurantbetreiber aus Yokkaichi zum Samurai qualifizieren soll, geht aus dem rechtsextremen Traktaten im Vereinsblatt nicht hervor. So wenig wie man sich in Europa selbst zum Ritter schlagen konnte, war es im alten Japan möglich, sich selbst zum Samurai zu erklären. Vielleicht kann ja Tom Cruise helfen. Der Eastern-Star weiß nach der Lektüre von Inazo Nitobes Machwerk »Bushido« offenbar so gut Bescheid, daß er der japanischen Jugend allen Ernstes vorwarf, nichts über die darin beschriebenen ritterlichen Tugenden zu wissen.

Murakami war da schon einen Schritt weiter. Er beschrieb seine Landsleute als »merkwürdige Existenzen, die wie Quallen im Ozean treiben und nur primitive Begierden wie Fressen und Sex kennen«. »Bushido« erschien übrigens zuerst in englischer Sprache und fand nach dem japanischen Sieg im Krieg gegen Rußland (1904-05) reißenden Absatz. Heute kann es gut als Einführung in die ideologischen Wurzeln des japanischen Ultranationalismus gelesen werden.

Im Gegensatz zu anderen rechtsextremen Gruppen nahmen die Schwertliebhaber auch einflußreiche Politiker der regierenden Liberaldemokraten (LDP) aufs Korn. Dem ehemaligen LDP-Generalsekretär Hiromu Nonaka schickten die Terroristen einen Drohbrief mit einer Kugel darin. Vor das Wohnhaus des stellvertretenden Außenministers Hitoshi Tanaka legten sie eine Bombe mit Zeitzünder. Beide Politiker gelten als Befürworter des friedlichen Ausgleichs mit Nordkorea. Tanaka entwarf die gemeinsame Erklärung beider Länder nach dem Gipfeltreffen in Pjöngjang im September 2002.

Fehlgeleitete Patrioten?

Polizei und Massenmedien bemühen sich, die Terroristen als fehlgeleitete Patrioten darzustellen, die nach all den schrecklichen Geschichten über das Schicksal der nach Nordkorea entführten Japaner einfach handeln wollten. Die nordkoreanische Regierung hatte auf einem Gipfeltreffen 2002 die Entführung japanischer Staatsangehöriger eingeräumt und ließ die fünf noch lebenden Opfer ausreisen. Seitdem hat die antikoreanische Hetze in Japan noch an Schärfe gewonnen. Ziel der Attacken der Rechtsextremisten waren in erster Linie nordkoreanische Einrichtungen: Genossenschaftsbanken wie die Chogin Chubu Credit Union in der Millionenstadt Nagoya oder die Hana Credit Union im nordjapanischen Niigata. Auch Büros des Verbands der in Japan lebenden Nordkoreaner »Chongryun« gerieten unter Beschuß.

Polizeiangaben zufolge ist keiner der selbsternannten Samurai bisher als rechtsextremer Aktivist in Erscheinung getreten. Auch der rechtsextreme Vordenker Kunio Suzuki folgt der offiziellen Lesart. Für ihn sind die Schwertliebhaber keine echten Rechtsextremen. »Die haben über Rechtsextremismus im Internet gelesen«, kanzelte er die Attentäter auf seiner Homepage ab.

Um die offizielle Version der Ereignisse – fehlgeleitete Patrioten – zu stützen, wurden Einzelheiten aus den Verhören an ausgewählte Journalisten weitergereicht. Die Tageszeitung Asahi Shinbun berichtet etwa, Murakami habe gestanden, eine Woche nach der Rückkehr der fünf überlebenden Japaner aus Pjöngjang im Oktober 2002 einen Brandanschlag auf ein »Chongryun«-Büro im Regierungsbezirk Fukui verübt zu haben. »Ich konnte Nordkorea damit nicht davonkommen lassen«, soll Murakami der Polizei erzählt haben. »Zu dieser Zeit begann ich von einer geheimen Untergrundorganisation zu träumen, die meine Ideen umsetzen würde.«

»Revival eines stolzen Japan«

Seine Verbindungen zur parlamentarischen Rechten zeigen, daß Murakami keinesfalls im luftleeren Raum agierte. Seit 1999 spendete sein Verein 2,1 Millionen Yen für den Wahlkampf von Shingo Nishimura, Abgeordneter der konservativen Splitterpartei »Liberale Partei«, der für seine nationalistischen Ansichten bekannt ist.

Nishimura verurteilte zwar den Anschlag auf Tanaka, fügte aber hinzu, daß dessen weiche Haltung gegenüber Nordkorea dem »nationalen Interesse Japans« schade. Nishimura schrieb Kolumnen für das Mitgliedsblatt von Token Tomo no Kai und fungierte als »Berater« der Vereinigung. »Unser Verhältnis war von gegenseitigem Vertrauen geprägt«, sagte Nishimura über seine Beziehungen zu Murakami. An den Anschlägen sei er aber nicht beteiligt gewesen, betonte der Politiker. »Das hat mich wie ein Blitz aus heiterem Himmel getroffen. Ich hatte nichts damit zu tun.«

Nishimura hißte 1997 das Sonnenbanner auf den von Japan beanspruchten Diaoyu-Inseln und verlautbarte, daß »das Revival eines stolzen Japan und das Erwachen des Bewußtseins des japanischen Volkes« mit Sicherheit dort ihren Anfang nehmen werden. Die Inselgruppe wird sowohl von der Volksrepublik China, Taiwan als auch von Japan beansprucht und hat neben reichen Fischgründen vermutlich reiche Erdölvorkommen zu bieten.

Auch Murakami nahm an einer Expedition auf die Diaoyu-Inseln teil, um den Anspruch auf die heilige Muttererde der in Japan Senkaku genannten Inselgruppe zu unterstützen. Im Anschluß an seinen Besuch wurde Murakami Medienberichten zufolge von der japanischen Küstenwache verhört. Unklar bleibt in den Berichten, mit wem Murakami unterwegs war.
Vielleicht war es ja die Privatyacht eines konservativen Parlamentariers. Die rechts- extreme »Japanische Jugendgesellschaft« (Nihon Seinensha), die Leuchttürme auf den Inseln errichtet hat, bestreitet jeden Kontakt. »Wir haben mit Token Tomo no Kai rein gar nichts zu tun«, sagte ein Sprecher der Gruppe der jungen Welt.

Nishimura mußte 1999 wenige Tage nach seinem Amtsantritt als stellvertretender Verteidigungsminister zurücktreten. Er hatte dem Magazin Shukan Playboy gesagt, Japan müsse über die Anschaffung von Atomwaffen nachdenken. »Wenn Nachbarstaaten mit ihren Mittelstreckenraketen auf japanische Großstädte zielen, hat Japan den Punkt erreicht, an dem im Parlament darüber diskutiert werden muß, was getan werden soll«, sagte Nishimura. Inzwischen würde ihn so ein Spruch nicht mehr das Amt kosten.

Heute zählt Nishimura zu den wichtigsten Unterstützern der »Nationalen Vereinigung zur Rettung der nach Nordkorea verschleppten Japaner« (NARKN), deren Ortsverband in Kumamoto zeitweilig von Murakamis Gefolgsmann Takeo Kimura geleitet wurde. NARKN distanzierte sich zwar von Kimura, unterhält aber ansonsten intensive Kontakte zur extremen Rechten.

NARKN hat es geschafft, die Angehörigen der nach Nordkorea verschleppten Japaner für eine politische Kampagne gegen die Normalisierung der bilateralen Beziehungen zwischen Tokio und Pjöngjang einzuspannen. Der Verein hat seinen Sitz im Modern Korea Institute (MKI), einem dubiosen Think Tank aus der Zeit des Kalten Krieges. Führende NARKN-Funktionäre gehören zum akademischen Unterstützerkreis der rechtsextremen Restaurationspartei »Neuer Wind« (Ishin Seito Shinpu). Schnell weitete NARKN die bearbeiteten Themen über rein humanitäre Fragen hinaus aus. Inzwischen geht es um den angeblich schwunghaften Drogenhandel des nordkoreanischen Regimes, Spionageschiffe usw. Finanziert werden die Aktivitäten der Mitglieder unter anderem von den regierenden Liberaldemokraten. Zu den Nutznießern der antinordkoreanischen Stimmungsmache zählt unter anderem der Generalsekretär der regierenden Liberaldemokraten (LDP), Shinzo Abe, der sich im vergangenen Wahlkampf auf Kosten der Befürworter einer Verhandlungslösung als Mann der Tat profilieren konnte.

Das Beispiel des Tokioter Gouverneurs Shintaro Ishihara zeigt, wieviel Sympathie Japans Volksvertreter dem rechten Terror entgegenbringen können, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. Der für seine rassistischen Ansichten bekannte Ishihara erklärte in einer ersten Reaktion auf den versuchten Bombenanschlag auf Tanaka, das habe der verdient. Später machte Ishihara einen Rückzieher, hielt den Tätern aber zugute, daß sie »ausreichend Gründe« für ihr Handeln gehabt hätten. »Das japanische Volk ist verärgert«, sagte Ishihara. »Es ist nicht zu leugnen, daß sich dieser Ärger aufgestaut und zu diesen Aktionen geführt hat.« Auch Ishihara zählt zu den Unterstützern von
NARKN.

Der rätselhafte Selbstmord eines führenden Mitglieds der Terrorgruppe spricht dafür, daß es einiges zu vertuschen gibt. Der 54jährige LKW-Fahrer sprang nach der Vernehmung durch die Strafverfolger in Osaka angeblich von einer Brücke in den Yodogawa-Fluß. Ein Abschiedsbrief wurde nicht gefunden. Der Mann hatte an Schießübungen der Gruppe auf der US-Pazifikinsel Guam teilgenommen. Zufälligerweise liegt Nishimuras Wahlkreis in Osaka.

Gut vernetzt

Was über die Aktivitäten von »Kenkoku Giyugun« bisher bekannt ist, spricht dafür, daß es sich dabei nicht um verirrte Patrioten, sondern um gut vernetzte Rechtsextreme handelt. Vom Besuch der Diaoyutai-Inseln bis zu Angriffen auf die Lehrergewerkschaft Nikkyoso decken ihre Aktivitäten das klassische Repertoire der extremen Rechten Japans ab.

In einem Bekenneranruf bezogen sich die Terroristen auf eine andere rechte Organisation, die in den 80er Jahren mit ihren Anschlägen für Angst und Schrecken sorgte: die »Sekihotai« (Sondereinheit für die Bekämpfung von Kommunisten), eine Art japanische Anti-Antifa, deren Verbrechen bis heute unaufgeklärt und mittlerweile verjährt sind. Am 24. Januar 1987 überfielen »Sekihotai«-Mitglieder die Zentrale der Asahi Shinbun in Tokio, die nach Meinung der Rechtsextremisten dem Kaiser nicht den gebührenden Respekt zollt und die japanische Geschichte verzerrt darstellt. Am 3.Mai 1987 wurde der Journalist Kojiri Tomohiro im Hanshin-Büro der Asahi Shinbun in Nishinomiya von einem Rechtsextremisten der »Sekihotai« erschossen, ein weiterer Journalist wurde verletzt. Am 24. September 1987 verübte die »Sekihotai« einen Anschlag auf das Mitarbeiterwohnheim der Asahi Shinbun in Nagoya. Ein Bombenanschlag auf das Büro der Zeitung in Shizuoka schlug fehl, weil die Paketbombe rechtzeitig entdeckt worden war.

An der Aufklärung rechter Gewaltverbrechen ist den japanischen Strafverfolgern jedoch nicht gelegen. Zu eng sind die Verbindungen der extremen Rechten zu einflußreichen Politikern und zum organisierten Verbrechen, der Yakuza. Deren Gruppen tarnen sich zuweilen als rechte politische Organisationen.

Bereits kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges griff der damalige Justizminister Tokutaro Kimura beim Kampf gegen die Linke auf die geistigen Vorgänger Murakamis und gewöhnliche Verbrecher zurück. Um 1960 entstanden unter dem Eindruck der starken linken Gegenbewegung zum japanisch-amerikanischen Sicherheitsvertrag rechte Dachverbände, mit deren Hilfe die rund 400 Gruppen und Organisationen, die zu dieser Zeit existierten, unter einem Minimalprogramm zusammengeschlossen werden sollten. Der wichtigste Dachverband, die »Alljapanische Konferenz Patriotischer Verbände« (Zennihon Aikokushadantai Kaigi bzw. Zenai Kaigi) ging aufgrund der massiven Präsenz von Yakuza-Gruppen auch als Yakuza Kaigi in die Geschichte ein. Der LDP-Politiker Kodama Yoshio fungierte als Berater des »Zenai Kaigi« und wurde, nachdem bereits 1959 eine Demonstration mit etwa 5 000 Teilnehmern für den Sicherheitsvertrag organisiert worden war, an der in der Mehrzahl Yakuza-Angehörige teilnahmen, im Sommer 1960 von führenden liberaldemokratischen Politikern gebeten, Yakuza und Rechtsextreme zum geplanten Empfang des US-Präsidenten Eisenhower zu mobilisieren, um den reibungslosen Ablauf des Staatsbesuchs zu gewährleisten.

Die Liste der Politiker, die gute Kontakte zur Yakuza pflegten, reicht von Kimura bis zu den Ministerpräsidenten Nobosuke Kishi – dem Großvater Shinzo Abes – und Yoshiro Mori. Mit rechtsextremen Sprüchen sorgen sie immer wieder dafür, daß sich die extreme Rechte bewegen kann wie ein Fisch im Wasser. Im Gegenzug schüchtert die Rechte politische Gegner ein – auch innerparteiliche Gegner, wie die Anschläge auf Hitoshi Tanaka und Hiromu Nonaka zeigen.
23.02.2004


aus der jungen welt von Josef Oberländer